Lenz, Siegfried
über das weiße Land hintrieben und den Pflanzen unter ihrer Schneelast laufende Schatten machten. Die bewundernden Rufe und das fröhliche Erschrecken und der Widerschein der zerspritzenden Sonnen – das wetterte nur so über unsere Gesichter, verfärbte und verschattete sie; allein aus unseren Gesichtern hätte man lesen können, was über den Quartieren barst und leuchtete und sich versprühte.
Wenn ich bloß wüßte, was kommt, ob ich fortgehen muß aus Hollenhusen, wenn ich überhaupt mehr wüßte über das, was sie planen und vorbereiten und nach wessen Willen alles geschieht, manchmal glaube ich, ganz nahe dran zu sein. Unter den Feuerrädern und platzenden Sternen, unter Joachims Feuerwerk versuchte ich Hinweise darauf zu finden, was das neue Jahr uns bringen würde, im Licht eines triefenden Kometen suchte ich den Chef, beim Silberregen hoffte ich, Ina zu entdecken, ich ließ es schnell März sein und August und dachte an Dorothea und Joachim, doch erkennen konnte ich nichts. Eine rauchige Dunkelheit hielt alles verborgen; und während ich noch nach Zeichen suchte, zischten Schwärmer über uns hinweg und Knallfrösche explodierten rappelnd in den verschneiten Rosen und sprangen bis zu uns herauf, da mußte jeder aufpassen, daß er nicht getroffen wurde. Nur der Chef, der hüpfte nicht hin und her, er stand allein an der Terrassentür und sah sich alles an, zu hören war nichts von ihm, kein Wort der Begeisterung, aber auch keins der Mißbilligung, wenn mal eine Rakete auf flacher Bahn im Birnenquartier einschlug und dort verglühte. Er brachte auch nichts über die Lippen, als wir alle Joachims Feuerwerk lobten, er wollte gleich wieder in seine Ecke, zu seinem Grogglas, doch bevor er dort noch versank, nahm Dorothea seine Hand und hielt ihn auf.
Sie zog ihn zurück, zog ihn noch einmal auf die Terrasse hinaus, und ohne daß er es merkte, gab sie mir den verabredeten Wink, darauf flitzte ich in Dorotheas Zimmer und lud mir den neuen Schaukelstuhl auf, den schönsten Stuhl, der sich denken läßt, und trug ihn vorsichtig in die Halle hinab. Max half mir, ihn abzusetzen. Ina wußte schon einen Platz, wir nahmen die letzte Schutzpappe weg und bestaunten den Stuhl, sein schwarzes, matt glänzendes Leder, die polierten Schaukelbögen – was Dorothea von ihren Einkäufen mitbrachte, das mußte man einfach bestaunen.
Dann meldeten wir versteckt Dorothea, daß alles bereit war. Dann bugsierte sie den Chef wieder herein, und während sie ihn dem Schaukelstuhl näher und näher brachte, zeigte sich auf seinem Gesicht kaum Spannung oder Vorfreude, nur so eine Art brummiger Gutwilligkeit. Vor dem Schaukelstuhl ließ sie ihn los und trat zur Seite: Da, eine Überraschung zum neuen Jahr, ganz allein für dich.
Ich dachte, daß er sogleich einmal Probe sitzen, sich zurechtruckeln und uns danach vormachen würde, wieviel Behagen einer in dem Stuhl finden kann unter sanftem Schaukeln, aber er tat es nicht, er stand nur da und musterte den Stuhl, blickte auch auf die hellbraune Sofaecke, in der er sonst immer saß, hob die Schultern und sagte: Fast zu schade, um darauf zu sitzen, oder? Freust du dich nicht, fragte Dorothea, es ist das Beste, was man kriegen kann in Schleswig. Das sieht man, sagte der Chef, und er sagte noch: Ein Stuhl für die Feiertage. Zum Ausruhen, sagte Dorothea und versuchte, den Chef auf den Schaukelstuhl zu ziehen, der soll ganz für dich allein sein, zum Ausruhen, nun setz dich doch schon mal hin.
Da setzte er sich, zögernd, steif und besorgt, als fürchte er, den Stuhl zu beschädigen oder ihn zumindest zu beschmutzen, sich zurückzulehnen wagte er nicht, zu schaukeln erst recht nicht, ganz verkrampft saß er einen Augenblick da, und nachdem er sich erhoben hatte, stellte er fest: Der ist sicher seinen Preis wert, der Stuhl.
Dorothea, auf einmal hatte Dorothea Tränen in den Augen, sie sagte nichts und weinte auch nicht richtig, mit Tränen in den Augen stand sie nur da, vielleicht wartete sie darauf, daß der Chef zum Schluß doch noch etwas sagte, ein Wort der Freude, des Dankes, aber von ihm kam nichts mehr, und plötzlich ging sie hinaus, blickte keinen von uns an und ging hinaus.
Niemand von uns rührte sich, jeder spürte wohl die Bedrückung, es war so still, daß ich das Knacken der Eiswürfel in Maxens Glas hören konnte. Max war es, der als erster die Stille unterbrach, er sagte: Das neue Jahr – nun hat es wirklich begonnen; und danach trank er auch gleich und setzte sein Glas
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