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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Gefühl, alles schnell hinter mich bringen zu müssen, darum wartete ich auch nicht, bis die graue Scheibe zu einer einzigen silbernen Zunge wurde, und kippte sie verfrüht in die Schüssel. Nun laßt uns mal sehen, was Bruno sich geleistet hat. Eine Welle, sagte Max, die sich an einer Mole gebrochen hat und schön versprüht. Sieht mir eher nach einem plattgefahrenen Hund aus, sagte Joachim. Nein, sagte Dorothea in zurechtweisendem Ton: Bruno ist der prachtvollste Wacholderstrauch gelungen, ein Wächterstrauch, wie er im Buche steht. Ich freute mich darüber, doch Guntram Glaser, der mein Gegossenes drehte und beäugte, konnte keinen Wacholderstrauch entdecken, er sagte: Bruno ist etwas ganz Seltenes geglückt, eine Wolke nämlich, und zwar eine Wolke auf Rädern, und wenn ich mich nicht irre, ist dies das Zeichen für eine Reise, Bruno wird eine kombinierte Reise zu Wasser und zu Land machen.
    Ina: ihr gelang es dann aber doch, den Chef aus seiner Ecke zu holen, ihm den Suppenlöffel aufzudrängen und ihn so weit zu bringen, daß er das Blei in die Flamme hielt – einem andern von uns wäre es bestimmt nicht gelungen, und bevor noch jemand etwas zu der Bleifigur des Chefs sagte, wußte sie schon: Ein Vulkan, ein gutmütiger Krater, der sich aber gerade wieder im Speien übt. Daneben, Schwesterchen, sagte Max, vollkommen daneben: Eine Fontäne ist das, aber die scheint mir von einem Rohrbruch auszugehen; das ist es, wir haben einen Rohrbruch zu erwarten. Mäßig interessiert blickte der Chef auf sein Gegossenes, er rieb ein bißchen daran und brachte es näher an die Flamme, und dann kniff er die Augen zusammen und murmelte: Ich halte es für eine Tretmine, die gerade hochgeht, und mehr sagte er nicht. Er bog, verbog seine Bleifigur und strebte in seine Ecke, mit zusammengepreßten Lippen saß er da, Schweißperlen sammelten sich unter seinem grauen Stoppelhaar, und ich rechnete schon damit, daß er aufspringen und uns verlassen würde, doch er blieb, atmete angestrengt und zwang sich, zu bleiben.
    Und auf einmal merkte ich, daß auch ich schwerer Luft bekam, von innen her schwoll mein Hals zu, und eine Klammer setzte sich an die Schläfen; ich mußte mich ihm zuwenden, und obwohl er seine Lippen nicht bewegte, hörte ich seine Stimme, und seine Stimme sagte: Einer von euch muß beteiligt sein, einer von euch hängt da drin, ich spüre es, und ich werde es herausbekommen. Weil alle gerade Ina umstanden, schlüpfte ich schnell auf die Terrasse hinaus, preßte mir eine Schneekugel und rieb meinen Nacken und das Gesicht mit Schnee, die Hitze legte sich, doch ruhiger wurde ich nicht – selbst nachdem ich die Extraportion Krapfen und Apfeltaschen gegessen hatte, die Dorothea mir zuschob.
    Auch Ina und Guntram Glaser überließen mir den Rest von ihrem Silvestergebäck, ich hatte ganz schön zu tun, um alle Teller zu leeren, aber ich schaffte es, und es gab manche Anerkennung – jedoch nicht von Joachim. Seine Ungeduld, seine Hippeligkeit, ihm konnte das alte Jahr nicht rasch genug zu Ende gehen, er ließ es sich nicht nehmen, unsere Gläser gut vor zwölf zu füllen, und als wir uns der Standuhr zudrehten, da hätte er wohl am liebsten dem Zeiger ein wenig nachgeholfen. Mit mir stieß er ebenso flüchtig an wie mit den anderen, er sagte nur: Auf ein neues, Bruno, mehr wünschte er mir nicht, und weil ich der letzte war, mit dem er anstieß, drückte er mir sein Glas in die Hand und ließ mich damit stehen. Er ging hinaus auf die Terrasse, während wir uns noch zutranken und alles mögliche wünschten für das neue Jahr. Max wußte die meisten Wünsche für jeden von uns, die wenigsten der Chef, der zu allem, was man ihm sagte, nur nickte, an Dorotheas Wange streifte er einen Kuß ab, mir gab er die Hand und ermahnte mich: Paß gut auf dich auf, Bruno.
    Auf einmal begann das Feuerwerk, das Joachim vorbereitet hatte, es war gewiß das größte Feuerwerk, das es je gab in Hollenhusen, drei Kanonenschläge leiteten es ein, drei Detonationen, deren Wellen über die verschneiten Quartiere hinrollten und gewiß alles aufweckten, was sich bei uns versteckt hatte, Hasen und Vögel und alles. Flaschen, unter der Terrasse steckten Flaschen im Schnee und in den Flaschenhälsen die Holzstäbe der Raketen. Joachim sprang von einer zur andern, hielt sein brennendes Feuerzeug an die Zündschnüre, und nacheinander stiegen sie zischend auf und entließen im Platzen rotierende Monde und Silberregen und vielfarbige Sterne, die sacht

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