Lenz, Siegfried
ich die Frikadellen in mich hinein, nippte nur an der Limonade; Furcht kam auf, und die riet mir, mich zu beeilen. Guntram Glaser sollte nicht noch einmal sagen können, daß ich ihn beobachtete bei gewissen Gelegenheiten.
Als die sonntäglich gekleidete Familie am Nebentisch aufbrach, schummelte ich mich zwischen sie und schlich in ihrer Deckung hinaus und mußte draußen stehenbleiben und ein paarmal durchatmen vor Erleichterung. Weg, nur weg, dachte ich, und ich konnte dennoch nicht widerstehen, noch einmal durch ein Fenster zu linsen, vom schattigen Bahnsteig aus, und da sah ich, wie Guntram Glaser seinem Gegenüber etwas über den Tisch schob, einen Briefumschlag, in dem gewiß Geld drin war, denn der Schüttler zwängte den Umschlag auseinander und blickte prüfend hinein, nicht anders, als ob er Geld zählte. Sehr zufrieden war er wohl nicht, da er das Erhaltene gleichgültig einsteckte. Für Guntram Glaser gab es wohl nichts mehr zu sagen, er stand auf und blickte auf den Schüttler hinab, sein Blick war eine einzige Verwarnung, und dann ging er, ließ sein unberührtes Bierglas stehen und ging ohne Gruß.
Der Zug, wenn nicht der Zug eingelaufen wäre, hätte ich einfach die Gleise überquert, wäre bei der Verladerampe in die Quartiere hinaufgestiegen, wäre ihm jedenfalls nicht unter die Augen gekommen; aber da die Schranke runterging und alle warten mußten, fand er Zeit, sich vom Geländewagen aus umzusehen, er entdeckte mich prompt, winkte und rief, und ich mußte mich neben ihn setzen.
Ich sagte ihm gleich, daß der Chef mich mit einem Expreßpaket zur Bahnpost geschickt hatte, dazu nickte er nur, wollte nichts über Inhalt und Empfänger wissen, er gab sich aufgeräumt, gab sich erleichtert, und ohne mich anzusehen, erzählte er, daß er einen alten Freund getroffen habe, der aus der Verschollenheit aufgetaucht sei, einen armen Kerl, dem er ein bißchen habe helfen müssen. Er sagte: Bis zu einem gewissen Grade ist man doch für seine Freunde verantwortlich, und er sagte auch: Es ist schon seltsam, aber gemeinsame Vergangenheit verpflichtet. Ob es mir nicht auch so gehe, wollte er wissen, da mußte ich gleich an Heiner Walendy und an seinen heimlichen Aufenthalt denken, und ich sagte ja. Er schien einverstanden mit dem, was er erreicht hatte, er nahm mir die Streichholzschachtel aus der Hand und bewies mir, daß man auch im offenen Wagen bei rascher Fahrt eine Zigarette anzünden kann. Du kommst doch zur Vorstellung, Bruno?
Auf dem schmalen Transportweg, wo wir hinter einer Zugmaschine halten mußten, guckte er auf meine Rohlederstiefel und das hochgerutschte Hosenbein und fragte, ob ich denn keine Strümpfe anhätte, und als ich es zugab, als ich ihm sagte, daß sich meine Strümpfe zu schnell verbrauchten und daß ich sie mir für die kälteren Tage aufsparte, schüttelte er den Kopf, er sagte Bruno, Bruno und wollte es nicht glauben. Plötzlich zog er seine Brieftasche hervor und nahm einen Zwanziger und hielt ihn mir hin: Hier, nimm ruhig, dafür bekommst du bestimmt drei Paar Strümpfe. Ich dankte ihm, nahm aber sein Geld nicht an. Er ergriff meine Hand und wollte mir das Geld aufnötigen, doch weil Bruno eine Faust machte, gelang es ihm nicht; da war er ratlos und wußte nicht, was er von mir denken sollte. Nachdem er sich schließlich mit meiner Weigerung abgefunden hatte, steckte er sein Geld weg, konnte es aber nicht auf sich beruhen lassen, daß ich ohne Strümpfe ging, und weil er sich wohl am meisten davon versprach, kündigte er mir an, daß er über dies Kapitel noch mit dem Chef sprechen werde, bei nächster Gelegenheit. Der Chef weiß es längst, sagte ich, er weiß es und hat nichts dagegen – da wurde Guntram Glaser ziemlich nachdenklich und murmelte etwas, das ich nicht verstand.
Am liebsten wäre ich ausgestiegen und allein weitergegangen, doch ich wagte es nicht, und wir waren kaum angefahren, da hielt Ewaldsen uns auf und wollte, daß wir sogleich mit ihm gingen zu den Sommerlinden, zu den Sämlingen der Sommerlinden, die alle umgefallen waren, die über Nacht die Umfallkrankheit bekommen hatten – als ob sie sich schlafen gelegt hätten, so sah es aus. Ewaldsen war unglücklich, er hockte sich hin und betastete einen Sämling, er wußte, weshalb die Krankheit hier aufgetreten war, hatte sie sogar vorausgesehen: wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man mit der Tilia-Saat gewartet. Zu früh, sagte er, die sind einfach zu früh in die Erde gekommen, und dann gab er zu
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