Lenz, Siegfried
gegangen, zuerst zum Wartesaal: nichts; im Bahnhof: nichts; dann hab ich die beleuchteten Straßen abgesucht und meinen Kopf ins »Kiek in« gesteckt, hier und überall: nichts. Im »Deutschen Haus« hoffte ich ihn zu finden, ihn und den Schüttler, von dem ich dir nur deswegen nichts erzählt hatte, weil ich nicht wußte, was ihn mit Guntram Glaser verband, aber auch dort waren weder der eine noch der andere, nur altbekannte Hollenhusener saßen da und tranken, und sie hielten mich fest und wollten mir auch etwas zu trinken geben, Bier, in das einer ganz schnell seine Zigarrenasche hatte fallen lassen, dieser sture Laatzen.
Auf einmal war Hollenhusen so groß, bot so viele Möglichkeiten, daß ich fast verzagt wäre, ich suchte und suchte, strich an der Schule vorbei, ließ den Ring nicht aus, ging sogar am Friedhof vorbei und umrundete das Gemeindehaus – Guntram Glaser war nicht zu finden. Ich weiß nicht, wie spät es war, als ich wieder nach Hause kam; meine Tür war nur angelehnt, die kleine Lampe brannte, doch du warst nicht da, hast es wohl nicht mehr ausgehalten. Nach einer Weile bin ich noch einmal hinausgegangen, es brannten viele Lichter in der Festung, viel mehr als sonst zu so später Stunde, aber dein Zimmer war dunkel.
Das sind seine Schritte, das zischende Geräusch seiner lederbesetzten Hosen verrät ihn gleich, Joachim macht seinen Kontrollgang, wie gewohnt, als ob sich nichts verändert hat bei uns; vermutlich sind sie sehr sicher, daß alles nach ihren Wünschen gehen wird. Er darf das Tor nicht zuschieben, ein Zeichen, ich muß ihm ein Zeichen geben, daß hier noch gearbeitet wird, die Stahlbürste quietscht ganz schön, wenn ich sie scharf über die Rillenschare ziehe, da kriegt man gleich eine Gänsehaut. Ja, ja, ich bin es, ich bin noch hier. Es ist längst Feierabend, Bruno, ruft er, darauf sage ich nichts, lasse ihn herankommen, lasse ihn zusehen bei meiner Arbeit, bei meiner eigenen Methode. Das blinkt ja alles, Bruno. So wie du pflegt keiner das Gerät. Stahlbürste, sage ich, Kratzer und Stahlbürste und ölgetränkter Lappen. Deine eigene Methode, schätze ich. Ja. Aber du solltest jetzt Feierabend machen und mir helfen, das Tor zuzuschieben. Er trägt kein Stöckchen in der Hand, nur die Stabtaschenlampe, wie sorgfältig er es vermeidet, mich wie sonst anzuleuchten, er läßt den Lichtstrahl nur in die Ecke wandern, mich blendet er nicht. Los, komm schon, Bruno, mach Schluß. Das ist wieder der alte, der andere Ton, so kenne ich meinen Joachim, ohne seine Gereiztheit und Unzufriedenheit ist er nicht er selbst, aber ratlos machen und unsicher, das kann er mich jetzt nicht. Wollen wir es gemeinsam versuchen? Das Tor schiebt sich so leicht, sage ich, das kann man mit einer Hand bewegen.
Willst du schon gehn, Bruno? Komm doch mit, sagt er, wir können doch zusammen nach dem Rechten sehen. Warum lädt er mich ein, ich hab ihn doch noch nie auf einem Kontrollgang begleitet, gewiß will er mich aushorchen, und wenn nicht dies, dann will er mich bestimmt weichreden, doch ich kann sein Angebot nicht einfach zurückweisen, das kann ich nicht. Wir gehn sowieso in deine Richtung, Bruno. Ja, ist gut.
Wie flüchtig er alles ableuchtet, der Schein seiner Lampe flieht nur, kreiselt über die Beete, schwenkt über die grüne Wand, noch hat das Lichtbündel nicht seine säulenhafte Starre, die bekommt es erst, wenn es ganz dunkel ist. Das war sie, die glimmenden Augen in der Thujahecke: das war die Wildkatze, wer weiß, wie die wohl zu uns gefunden hat, nur gut, daß Joachim sie nicht entdeckte. Ob ich etwas von Lisbeth gehört habe, möchte er wissen, von unserer Lisbeth, sagt er, und ich sage: Nein, nichts. Ich bin aber bei ihr gewesen, Bruno, ich hatte in der Stadt zu tun, und da hab ich bei ihr reingesehn; es ist traurig, das kannst du mir glauben. Stell dir vor, sie zeigte keine Freude, sie hat nur dagelegen und an die Decke gestarrt, gesprochen hat sie nicht ein einziges Wort, ich hatte fast den Eindruck, daß sie mich überhaupt nicht wiedererkannte. Nun möchte er wissen, ob ich mir das erklären kann.
Nein, aber vielleicht war sie zu müde, oder sie hatte zu große Schmerzen, sage ich, wenn so ein schwerer Körper in Ruhe fällt, dann zeigen sich erst die Leiden, die Schäden. Da kannst du recht haben, Bruno. Das sagt er zerstreut, ich spüre genau, daß er etwas anderes erwägt und bedenkt, einen Plan vielleicht, von dem er sich einiges versprechen kann, jetzt vergißt er sogar, den
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