Lenz, Siegfried
zu machen, auch der Chef und Dorothea tauschten einen Blick, und eines von den Kindern rief: Komm schnell, oder wir schießen.
Ina schenkte Kaffee nach, ein bißchen zittrig, wie es mir vorkam, auf die Frage des Chefs, wer denn dieser nahe Freund sein könnte, wußte sie keine Antwort. Es zog sich, es dauerte, vielleicht hatten wir auch nur das Gefühl, daß es unermeßlich lange dauerte, bis Guntram Glaser zurückkehrte, und als er endlich kam, wirkte er ganz verdunkelt, er trat nicht an den Tisch, aus einiger Entfernung sagte er, daß er eben mal fort müsse, um etwas zu regeln, es ließe sich leider nicht aufschieben, mit dem Geländewagen sei er bald wieder zurück. Da wollten die Kinder gleich wissen, wann das Theater losginge und ob sie überhaupt etwas zu sehen bekämen, und er versprach, daß sie eine lange Abendvorstellung erleben würden. An Inas Begleitung zum Auto hinaus war ihm nicht gelegen, dennoch stand sie auf und lief hinter ihm her, und wir am Tisch sprachen kein einziges Wort, bis der Motor ansprang und die Reifen heftig über den Kies mahlten. So, sagte Dorothea, und jetzt wollen wir uns mal in Ruhe alle Geschenke ansehen.
Auch sie, auch Dorothea, konnte es nicht verhindern, daß sich Mehltau auf den Geburtstag legte, die richtige Freude wollte nicht mehr aufkommen, und es wunderte mich kaum, daß der Chef sich unvermittelt daran erinnerte, was noch getan werden müßte vor dem Abend. Er verabschiedete sich mit einem Kuß von Ina, die immer wieder an die Terrassentür ging, nichts anderes im Sinn, als Guntram Glaser heranzugucken, von den Geburtstagskindern verabschiedete er sich mit einem Knuff und einem warnend aufgestellten Zeigefinger, mir wollte er gerade einen Stups geben, als ihm eine Aufgabe für mich einfiel: das Expreßpaket. Komm, Bruno, wir müssen ein Expreßpaket bei der Bahn aufgeben.
Seht ihr, so werde ich mit euch fertig: ich tu einfach, als ob es euch nicht gibt, renne euch nicht hinterher, werfe nichts zurück und ärgere mich nicht, da werdet ihr wie von selbst müde; immer werdet ihr rasch müde, wenn das, was ihr anstellt, nicht die gewünschte Wirkung hat. Ich seh eure mageren Beinchen hinter dem Traktor, jetzt könnte ich euch leicht abfangen und mit den Köpfen gegeneinanderschlagen, verdient hättet ihr es bestimmt; denn sogar an jenem Geburtstag habt ihr dafür gesorgt, daß sich die Leute hinter mir anstießen und lachten, in den Quartieren zunächst und dann am Hollenhusener Bahnhof. Daß sie sich oft anstießen, wenn ich vorbeiging, daß sie mir nachblickten, daran war ich längst gewöhnt, aber daß sie sich so belustigten, das konnte ich nicht verstehn, selbst Michaelsen von der Bahnpost, dem ich das Expreßpaket einlieferte, selbst dieser Dorschkopf grinste, ohne jedoch zu verraten, welchen Grund er dafür hatte. Als die Kinder mir nachliefen und mich fröhlich ausschämten, da ahnte ich endlich, daß etwas auf meinem Rücken sein mußte, das sie so belustigte, und vor dem Reklamespiegel im Bahnhof sah ich ihn dann, den Fetzen, den sie mir angesteckt hatten und auf dem in roter Farbe stand: Frisch gestrichen. So war ich herumgelaufen und hatte mich ihrem Spott ausgesetzt. Obwohl Tim und Tobias es abstritten, mir den Fetzen angesteckt zu haben, gibt es für mich keinen Zweifel, daß nur sie es gemacht haben können, diese Milchgesichter, meine Plagegeister.
Um dem Spott zu entkommen, fiel mir kein besserer Ort ein als der Wartesaal – den darf man nur betreten, wenn man eine Fahrkarte hat oder etwas verzehrt, im Wartesaal konnte ich die Kinder und das Gelächter, das ich hinter mir herschleppte, loswerden, also flüchtete ich dorthin und bestellte mir, wie immer, eine Zitronenlimonade und zwei Frikadellen.
In der dämmrigsten Ecke saßen sie: Guntram Glaser und der Schüttler. Sie kümmerten sich nicht um die wenigen Reisenden, sie redeten immerfort aufeinander ein, Guntram Glaser, der mir den Rücken zukehrte, fordernd und heftig und mitunter unwirsch, der Schüttler hingegen, der sein Bierglas fast leergetrunken hatte, bekümmert und so, als müßte er für sich um Verständnis bitten. Einmal sprang Guntram Glaser auf, anscheinend entschlossen, fortzugehen, doch als der Schüttler ihm eine offene Hand entgegenstreckte, eine werbende Hand, da setzte er sich wieder und zog etwas aus seiner Brusttasche heraus und las dem andern etwas vor.
Um nicht entdeckt, nicht wiedererkannt zu werden, wandte ich mich ab und beugte mich über meinen Teller, schnell stopfte
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