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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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die Alten recht hatten. Daß Schafgarbe gegen Blutungen hilft, das wußte ich, aber daß man sie über die Geräte hängt, um Unglücksfälle zu verhindern, das wußte ich nicht; der Chef hatte es getan, weil sich wieder einer von seinen Leuten an der Egge verletzt hatte, schlimm verletzt. Er sagte: Wichtig ist jetzt nur, daß die Leute erfahren, warum hier die Schafgarbe hängt.
    Dann gingen wir zum Ausgang. Dann sah er mir ins Gesicht. Dann stockte er und verengte seine eisblauen Augen und fragte: Was ist denn mit dir, Bruno, was ist dir über den Weg gelaufen? Ich wollte immer noch für mich behalten, was ich gesehen hatte, aber da sagte er: Wen man nicht treffen will, den trifft man im Wartesaal, stimmt’s? Und darauf lohnte es sich nicht mehr, meine Beobachtung geheimzuhalten, weil er im nächsten Augenblick bestimmt darauf gekommen wäre, was ich erlebt hatte.
    Wie regungslos er alles anhören konnte, er guckte nur auf den Boden, ab und zu atmete er scharf ein, aber sonst zeigte er nichts, keine Unruhe, keine Überraschung, er ließ sich weder Verdacht anmerken noch aufkommende Bitterkeit, nachgefragt hat er kein einziges Mal, während ich erzählte, was er vielleicht schon wußte. Und zum Schluß, nachdem er alles angehört hatte, fiel ihm auch kein Wort des Dankes ein, er streifte mich nur mit einem müden Blick, legte einmal seine Hand auf meine Schulter und drehte sich um und ging weg. Etwas hemmte seine Schritte, er, dem sein Wissen sonst überall einen Vorsprung sichert, wurde jetzt niedergedrückt von ihm, das spürte ich. Dieses Zerren, dieses Schwindelgefühl. Diese Ratlosigkeit, in der er mich zurückließ, ich wußte nicht, was ich tun sollte, eine plötzliche Angst klammerte mich fest, die Angst, daß sich bald etwas Schwerwiegendes entscheiden würde. Ich verdrückte mich in meine Sicheltannen.
    Keine Vorstellung; das Stück von dem alten schlauen Bären, der sich auf das fröhliche Fest der Bärenjäger verirrt, wurde nicht aufgeführt, an jenem Abend nicht und niemals. Eine Zeitlang rechnete ich damit, daß sie einen schicken würden, um mich zu holen, aber es kam keiner, bis zur Dunkelheit nicht. Als du kamst, Ina, da war es schon ganz dunkel, kein Mond, niedrige Wolken, durch das Fenster hätte ich dich gar nicht erkennen können, nichts war zu erkennen. Noch bevor du klopftest, hörte ich das Wimmern, und ich wußte sofort, daß du es warst, die da draußen wimmerte, da war ich auch schon an der Tür und rief dich und zog dich zu mir rein. Wie du aussahst, man mußte einfach erschrecken und das Schlimmste denken, so zerstochen warst du, so verdreckt und zerrissen, und überall blutete es aus kleinen Wunden, im Gesicht, an den Armen, aber das hast du wohl kaum bemerkt, zumindest hast du es nicht beachtet. Kaum saßest du in meinem Sessel, da begann ein Weinkrampf dich zu schütteln, all mein Fragen war umsonst, sprechen konntest du nicht, ich dachte nur: Laß sie sich ausweinen, und ich hab dich ganz vorsichtig gestreichelt und mit einem Tuch die blutenden Stellen betupft. Als ich die Dornen entdeckte, die in deinem Arm steckten, wußte ich gleich, daß du durch das Beet des Chefs gerannt und dort hingefallen warst; ich zog die Dornen heraus, und du zucktest dabei nicht einmal. Wie lange es dauerte, ehe du reden konntest, und wieviel länger es noch dauerte, bis ich halbwegs verstand, was du sagen wolltest, manches mußte ich mir zusammenreimen, weil du immer wieder stocktest und nur halbe Sätze sprachst und dein verschmiertes Gesicht in den Händen bargst.
    So viel aber verstand ich sofort: daß du Angst hattest vor einem Unglück. Ach, Ina, mit meinem Handtuch hast du dein verschmiertes Gesicht abgewischt und mich dann angesehn wie von weither und mit kleiner Stimme gesagt: Ein Unglück, Bruno, ich glaube, es passiert ein Unglück. Und nach einer Weile hast du gesagt: Such ihn, Bruno, du mußt ihn finden, er wollte zu dem Mann. Zu welchem Mann, fragte ich, und du darauf: Guntram will ihn herbringen, ich weiß nicht, wer es ist, er will zu ihm und ihn zu etwas zwingen. Bestimmt wußtest du damals ebensowenig wie ich, ein paarmal fragtest du: Was geschieht da, Bruno, um Gottes willen sag es mir, wenn du etwas weißt, und du hast mich dabei forschend angesehen und mich am Arm festgehalten.
    Für dich, Ina, bin ich nach Hollenhusen gegangen, nur für dich, in den finsteren Quartieren hätte man sich leicht verirren können, ich bin die Böschung hinabgerutscht und zwischen den Schienen

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