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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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verstehen, daß er zeitig genug seine Bedenken vorgebracht hatte, doch man habe nicht viel darauf gegeben, man habe sich allein nach dem Pflanzplan gerichtet. Er brauchte Joachims Namen gar nicht zu erwähnen, wir wußten sofort, daß Ewaldsen ihn meinte, daß er ihn bezichtigte, auf die Einwände der Erfahrung nicht gehört zu haben – es wunderte mich nur, daß Ewaldsen, der sonst geduldig den Anweisungen lauschte und dann meistens doch das tat, was er für richtig hielt, überhaupt nach Joachims Wünschen gearbeitet hatte.
    Guntram Glaser gab Ewaldsen nicht recht, wie ich es gedacht hatte, er kratzte im Boden, nahm eine Handvoll Erde auf und rieb sie so zwischen den Fingern, wie der Chef es mitunter machte, dann untersuchte er einige Sämlinge und stellte fest, daß sie keinesfalls zu früh in die Erde gekommen waren. Nein, er ließ die Beschuldigung nicht auf Joachim sitzen, er fand bald heraus, daß der Boden vor zwei Jahren entseucht worden war, und da wußte er schon das Wichtigste; es ist immer so, sagte er, im ersten Jahr nach der Entseuchung können die Bodenpilze nicht viel anrichten, aber im zweiten Jahr, da haben sie sich wieder erholt oder sind ausgebildet worden durch die Dauersporen. Als Ewaldsen außerdem noch zugeben mußte, daß das Saatgut nicht gebeizt worden war, fehlte Guntram Glaser nichts mehr zu der Erklärung, warum die Umfallkrankheit bei uns auftreten konnte, und weil er mit ansah, wie sehr alles Ewaldsen zu schaffen machte, versuchte er, ihn ein wenig zu trösten, und riet ihm, den Keimlingen ziemlich viel Stickstoff zu geben, damit sie über das kritische Alter hinwegkämen. Er sagte: Wenn dein Keimling erst an der Basis verholzt, dann droht ihm keine Gefahr mehr.
    Wenn ich nur wüßte, was einer tun muß, damit er undurchschaubar wird, damit man ihm nicht auf den ersten Blick ansieht, was ihn beschäftigt und umtreibt und ihm das Herz schwer macht, wenn ich das nur wüßte! Wie oft hab ich mir nicht gewünscht, alles so verbergen zu können wie Max, der einen betrachten kann, ohne daß man weiß, was er denkt; auch der Chef läßt sich nicht immer anmerken, was ihn belastet, ebensowenig Ina, die mich manchmal mit ihren Einfällen so überrascht hat, daß sie mir fast fremd vorkam.
    Mir indes können sie alles ansehen, es gelingt mir nicht, das, was ich für mich behalten möchte, im dunkeln zu lassen, ich weiß auch nicht, wie es kommt: ich muß einfach glauben, daß das, was ich mit mir herumtrage, auf meinem Gesicht zu lesen ist – es kann ein Plan sein oder Traurigkeit oder ein heimliches Wissen. Wie viele Male hab ich mich nicht schon darüber gewundert, daß mir einer auf den Kopf zusagte, was ich noch für mich behalten wollte, und am meisten wunderte ich mich da über den Chef. Der brauchte mich am Morgen nur von der Seite anzugucken und wußte bereits, daß ich schwer geträumt hatte und daß ich den Traum nicht loswerden konnte, und um mir zu helfen, teilte er mich gleich zu einer härteren Arbeit ein. Einmal, als mich großes Zutrauen erfüllte – es war auf einem feierabendlichen Gang durch unsere Quartiere –, da wollte ich ihn um die Erlaubnis bitten, ebenso wie die anderen mit Maschinen und mechanisiertem Gerät umzugehen, und ich druckste wohl eine Weile herum, und als ich gerade mit meinem Wunsch herauskommen wollte, da wandte er sich mir zu und sagte: Später, Bruno, eines Tages wirst auch du die Maschinen steuern, vorerst brauche ich dich auf einem anderen wichtigen Platz. Vor ihm läßt sich nichts geheimhalten, ein Blick nur, und er weiß, was ich mit mir herumtrage.
    Ich war noch nicht einig mit mir, ob ich ihm erzählen sollte, was ich im Wartesaal beobachtet hatte, ich wollte nicht, daß es einmal von mir hieß, ich sei das verlängerte Ohr des Chefs oder sein drittes Auge, das wollte ich nicht, und anstatt zur Festung zurückzukehren, wo bald die Vorstellung beginnen sollte, ging ich hierher, ins Gerätehaus, wo ich allein zu sein glaubte, aber nicht allein war; denn eben wollte ich mich auf den Sitz des alten Traktors hinaufziehen, als aus einer Ecke Hammerschläge kamen, kurze Schläge, mit denen ein großer Nagel ins Holz getrieben wurde.
    Es war der Chef, der hämmerte, an drei Stellen schlug er Nägel ein, und an jeden Nagel hängte er ein Bündel Schafgarbe, er lächelte dabei in sonderbarer Zufriedenheit und zwinkerte mir zu. Nachdem er das letzte Bündel aufgehängt hatte, sagte er von der Trittleiter herab: So, Bruno, nun wollen wir mal sehen, ob

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