Lenz, Siegfried
Schein seiner Lampe wandern zu lassen. Hör zu, Bruno, wie wäre es, wenn wir Lisbeth einmal gemeinsam besuchten, hättest du Lust dazu? Du kommst doch sonst nie raus, soweit ich mich erinnere, bist du noch nie in der Stadt gewesen, und das wäre doch eine gute Gelegenheit, ich nehme dich in meinem Auto mit. Na, was meinst du? Warum nicht, sage ich. Also abgemacht? Ich weiß noch nicht, sage ich, und er: Überleg’s dir mal, Lisbeth hat es verdient.
Er wird sich wundern, wenn Lisbeth auch bei seinem zweiten Besuch kein einziges Wort sagen wird, sie möchte nicht, daß man zu ihr kommt, sie hat Magda beauftragt, das weiterzugeben, nur wir beide sind ihr willkommen, der Chef und ich. Vielleicht sollten wir den Chef mitnehmen, sage ich, wenn er mitkäme, würde Lisbeth sich bestimmt freuen. Er ist schon bei ihr gewesen, sagt Joachim, sagt es so schroff, als nähme er es ihm übel, ja, er ist allein bei ihr gewesen, niemand weiß, wie er dorthin kam. Daß der Chef sie bereits besucht hatte, merkte er gleich bei seinem Eintritt, Joachim sah es sofort: Auf dem Nachttisch, Bruno, da lag der Beweis, da lag ein Geschenk des Chefs, eine Medaille.
Joachim knipst die Taschenlampe aus, er bleibt stehen und ist jetzt ganz nahe, und flüsternd, als ob wir belauscht werden könnten, sagt er: Die Medaille, Bruno, die hat der Chef selbst einmal verliehen bekommen. Gewiß hat er sie nur vergessen, er hat sie Lisbeth gezeigt und auf dem Nachttisch abgelegt und später vergessen, sage ich; doch er weiß es besser. Nicht vergessen, fortgeschenkt hat er sie, gedankenlos weggegeben wie so vieles; du wirst es nicht glauben, Bruno, doch es gibt manches, was der Chef nicht mehr beurteilen kann; es ist, als hätte er zu einigen Dingen das rechte Verhältnis verloren, und weil er manches nicht erkennen und bewerten kann, kann er es auch nicht verantworten. So steht es um ihn.
Wenn ich nur wüßte, was ich ihm darauf antworten soll, es wäre doch besser gewesen, wenn ich gleich nach Hause gegangen wäre, wo die frische Milch wartet und der Bückling und das Rosinenbrötchen. Er läßt den Schein jetzt über die Mutterbeete laufen, er wendet sich ab und geht weiter und sagt über die Schulter: Jeder weiß, Bruno, wie du zu ihm hältst, was mein Vater für dich bedeutet, und gerade deshalb mußt du dich gefaßt machen auf Veränderungen; vielleicht hast du auch schon längst selbst bemerkt, daß der Chef nicht mehr der ist, der er einmal war, du mußt es bemerkt haben. Wir jedenfalls haben feststellen müssen, daß er einiges tut, was sich nicht verantworten läßt, jeder von uns hat es festgestellt, unabhängig voneinander. Was er getan hat und tut, könnte uns alle hier gefährden, auch dich, Bruno, und weil es so ist, müssen wir etwas unternehmen, schweren Herzens, aus Notwehr.
Er schweigt, er wartet, er hofft auf eine Bestätigung, aber ich werde nichts sagen, ich werde mein Wort halten. Es könnte sein, Bruno, daß du bald unsere Ansicht teilst, du bist ja oft genug mit meinem Vater zusammen, prüf nur, vergleiche und denke nach, und wenn du glaubst, daß wir nicht unrecht haben mit unserer Sorge, dann komm zu mir, ich bin immer für dich zu sprechen. Hast du mich verstanden? Ja, sage ich und sage gleich dazu: Da bin ich schon, ich muß jetzt wohl nach Hause. Wie leicht sich das sagen ließ, er schüttelt nicht einmal den Kopf über mich, bleibt nur stehn und sieht mir nach und richtet den Schein seiner Lampe auf meine Tür, damit ich das Schloß schneller finde.
Immer noch nicht der Pfiff der Lokomotive, immer noch nicht. Und ich hab einen Mandelbaum für ihn gepflanzt, in Inas Auftrag. Vielleicht hat der Nachtzug Verspätung. Und sie stand da in schwarzem Kleid und sah nur stumm zu, wie ich das Bäumchen in die Erde brachte. Vielleicht hat er sich aber auch schon vorbeigeschleppt, der Nachtzug, und ich habe den Pfiff überhört, es ist mir ja schon manches Mal passiert, daß ich etwas überhört, übersehen habe. Und sie hat sich bedankt und ist allein weggegangen, noch bevor ich das Mandelbäumchen wässerte und die Erde antrat. Wenn der Nachtzug durch ist, kann ich leichter einschlafen, ich weiß auch nicht, warum, ich weiß nur, daß es schon lange so ist. Und dann hab ich sie nur noch einmal am Grab getroffen, damals, als ich das Bäumchen ausschnitt.
Es macht mir nichts aus, wenn ich einmal länger auf den Pfiff der Lokomotive warten muß, ich liege ganz ruhig und lausche, in meiner Vorstellung sehe ich schon die Lokomotive, wie
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