Lenz, Siegfried
wieder weg und ließ sich auf die Seite fallen, wobei das gebrochene Bein schlenkerte. Abermals besprachen sich die Männer. Und dann nahm der Chef sein Gewehr auf und lud durch und trat nah an das Pferd heran. Der Lauf senkte sich. Und er schwankte nicht, als er hinters Ohr zielte und schoß. Das Pferd warf ein wenig den Kopf hoch; ein Zittern durchlief den Rotfuchs, die Läufe streckten sich, als wollten sie noch einmal ausgreifen, der Schweif peitschte das Gras, und vor dem Maul platzten Bläschen. Niels Lauritzen tätschelte ihm den Hals. Und das Zittern hörte auf, und »Bravo« lag ganz still da.
Ich mußte mich auf das Brett setzen, und beide nahmen den Strick über die Schulter und hoben gleichzeitig an; so schleppten sie mich von der Koppel fort, wie auf einem Schaukelbrett saß ich zwischen ihnen. Die Übelkeit; einmal, als sie mich absetzten, um zu verschnaufen, war der Druck der Übelkeit so groß, daß ich mich vor ihren Augen erbrach, ich lag kaum auf der Erde, da kam schon der Strahl, und der Chef kniete sich hin und hielt meinen Kopf. Raus mit der Angst, sagte er, kotz sie aus, mehr sagte er nicht. Als sie mich wieder lüfteten, da war mir leichter, und ich nahm mir vor, alles so zu bezeugen, wie es bezeugt werden mußte.
Sie wollten nichts von mir hören. In der Festung brach großes Schweigen aus, nur in wenigen Zimmern brannte Licht an den Abenden. Joachim ließ sich allenfalls von weitem blicken, Dorothea überhaupt nicht. Du, Ina, du hast mir die breiten Heilpflaster aufgelegt und hast nach mir gesehen von Zeit zu Zeit, und von dir erfuhr ich, daß etwas für immer zerstört und gerissen war, ein Pakt, ein Band, von dir hörte ich auch die Worte, daß es bei uns nun nie mehr so sein könnte, wie es einmal war. Keiner hat mich gefragt, wie alles zugegangen war; was geschehen war, reichte aus, genügte ihnen, um sich voneinander abzuwenden. Dorothea schloß sich ein und schien für immer in ihrem Zimmer bleiben zu wollen; der Chef gab es bald auf, vor der verschlossenen Tür zu rufen, und ging seine eigenen Wege. Seine Einsamkeit. Er, der allen überlegen ist und nichts vergißt, wußte mitunter nicht mehr, welchen Auftrag er mir gegeben hatte, und mehr als einmal sagte Ewaldsen hinter seinem Rücken: Was is nur mit dem Chef los? Er tat mir so leid, daß ich beschloß, mit Dorothea zu sprechen, ich schlich mich hinauf und klopfte an ihre Tür – keine Antwort; doch ein anderer hatte mein Klopfen gehört und guckte mich mißtrauisch an und schickte mich weg: Joachim. Einer von beiden, entweder Joachim oder Ina, hat dann mit Max gesprochen, und der kam gleich zu uns für einen ganzen Tag, eilig und ungehalten, als mutete man ihm etwas zu, wofür er keine Zeit hatte, ich weiß nicht, was er ihnen vorgehalten hat, wie er sie bearbeitete, ich weiß nur, daß er beim Abschied die Achseln zuckte und seinen Mund verzog. Kurz nach seiner Abreise jedoch verließ Dorothea ihr Zimmer und erschien unten am Eßtisch.
Wenn das man nicht das Eisen war, einige haben sich darüber aufgeregt, daß der Chef zu den Pausen und zum Feierabend schlagen läßt, das singende Eisen, dessen Schwingungen manchem in der Nähe wehtun, einige fühlen sich auch an schlimme Zeiten erinnert und möchten den Beginn der Mittagspause selbst bestimmen, doch er will das Eisen nicht abschaffen, weil es schon in den Quartieren des Sonnenaufgangs die Stunden regelte, für ihn gehört es einfach dazu.
Fünf Töpfe noch, dann bin ich fertig, so lange muß Magda noch warten, bestimmt wird es Zusammengekochtes bei ihr geben, Bohnen mit Rippen und Bauchfleisch dazu, vielleicht auch Erbsen auf Schinkenschwarte, die allen andern zu zäh ist, zu ledern, nur mir nicht, an Schinkenschwarte kann ich nicht genug bekommen. Wie oft habe ich sie im Winter darum gebeten, mir übriggebliebene Schwarten mitzubringen, aber sie hängt sie lieber für die Meisen raus, als sie mir zu geben, einfach, weil sie glaubt, daß man von Schinkenschwarten einen harten Bauch bekommt. Sie hat es auch nicht gern, wenn ich neben ihr den Knorpel von den Rippen zerbeiße, angeblich kann sie das Krachen nicht ertragen und dieses Mahlen wie auf Grus oder Körnern – ach, Magda hat viel an mir auszusetzen, einmal sagte sie sogar: Ich weiß gar nicht, Bruno, was mich bei dir hält. Aber jetzt muß ich mich beeilen, und nach dem Essen geht’s gleich in den Keller runter zu den Kartoffelschütten.
Sauerkraut gibt es, dazu Würstchen und Kartoffelpüree, mein Teller steht
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