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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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schon an der Durchreiche, so läßt Magda mich manchmal ihren Vorwurf spüren, und nun erscheint auch ihr Gesicht in der Öffnung: Na, geruht der Herr endlich auch zu kommen? Das ist ein bißchen zu laut gesagt, als ob es für einen Horcher bestimmt ist, ihr Winken, ihr Zeichen, sie will, daß ich an die Durchreiche komme, mir den Teller abhole. Er ist festgesetzt, Bruno. Wer? Der Termin; ich hab nicht alles mitbekommen, aber ein Termin bei Gericht ist festgesetzt. Nein, Magda. Ja, es ist einer hier gewesen, der einiges überbracht und zusätzlich aufgenommen hat, ich habe ihn selbst gesehen, und er und die andern glauben, daß es dazu kommen wird, zu der Entmündigung. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, sie können ihn doch nicht entmündigen. Vielleicht war das schon sein vorläufiger Vormund, sagt Magda, und sie sagt: Du mußt alles auf dich zukommen lassen, Bruno, du hast nichts zu befürchten, nur weil der Schenkungsvertrag auf deinen Namen ausgestellt ist. Hast du mich verstanden? Ja, ja. Dann nimm deinen Teller. Er wird es sich nicht gefallen lassen, eines Tages, wenn seine Geduld ein Ende hat, wird er sich wehren, noch steckt er jeden in die Tasche, er mit seinem Wissen, mit seinen Narben. Für ihn könnte ich alles tun. Warum ißt du nicht, Bruno, ruft Magda, hast du keinen Hunger?
    Sie sind geplatzt, die Würstchen, aber sie schmecken sehr gut, und die Apfelstückchen und die Weinbeeren veredeln den Kohl, das macht dir so leicht keiner nach, Magda. Wenn wir nur zusammenbleiben, er und ich. Er hat lächelnd zugesehen, wie ich mich einmal auf alle viere niederließ und stillhielt, damit meine Quälgeister mir das provisorische Halsband umlegten, auf dem Rasen, vor allen Leuten. Weil du mich so aufmunternd angesehen hast, Ina, spielte ich mit, streckte für sie, die damals noch so klein waren, den Hals aus, aber sie konnten mir nur die Schnur umlegen, den Knoten machte der Chef, der gerade mal wieder ausgezeichnet worden war. Und ich bellte und schnüffelte für sie und hob zu ihrer Freude ein Bein an den Rosen, ich machte Männchen, holte den Stock, fuhr auch diesem und jenem knurrend an die Beine. Ich wollte kein Spielverderber sein. Plötzlich aber zogen beide so heftig an der Leine, daß mir die Luft wegblieb, ich würgte und warf mich zurück, während sie sich freuten. Der Chef schnitt die Leine durch, mit seinem Messer kappte er sie.
    Sauerkraut kannst du noch nachkriegen, Bruno, auch Kartoffeln, nur keine Würstchen, die sind alle. Nein, nein, für heute hab ich genug. Du hast dich bestimmt an etwas anderem satt gegessen, sagt Magda, einer wie du, der merkt es schon gar nicht mehr, daß er ißt. Hoffentlich kommt kein Fieber, mir ist schon, als ob der Teller sich vergrößert, so war es immer, wenn ich Fieber hatte, alles wuchs sich aus und verzerrte und vergrößerte sich, die Schuhe und der Apfel und der Schmetterling.
    Hier ist mein Teller, Magda. Stell ihn nur hin. War es ein kleiner Mann mit Aktentasche, einer, der so komisch gekämmt war, frage ich, und sie: Wer? Wen meinst du? Na, du weißt schon, der, der vielleicht Vormund werden soll. Wie erstaunt sie mich ansieht. Woher kennst du ihn, Bruno, sag bloß, du bist ihm begegnet? Er war bei mir, sage ich, er hat mir zugeguckt beim Topfen, Grieser heißt er oder Kiesler, und das einzige, was er kann: Fragen stellen, etwas anderes kann der nicht; um mit ihm fertigzuwerden, braucht der Chef nur den kleinen Finger. Nicht so laut, Bruno, red nicht so laut. Kommst du heute abend? Es geht nicht, heute abend nicht. Aber beschließen, wir müssen doch etwas beschließen, sage ich, und sie, weggedreht: Erst einmal können wir nur warten. Auf meinen Dank hat sie nichts mehr zu sagen; also, ich geh jetzt.

Die Kröte muß raus, sonst kann ich nicht anfangen, bestimmt ist sie hier heruntergefallen, als das Kellerfenster offenstand, oder sie sprang von sich aus in die Dunkelheit, weil es ihr im Hellen zu gefährlich war; ich möcht nur mal wissen, wovon die hier gelebt hat. Diese verwarzte, immer pulsende Haut, diese goldgeränderten Augen. Hüpfen wie die Frösche, das kann sie nicht, sie zieht sich und klimmt und schleift mit ihrem Leibsack über die Kartoffeln, auf ein Regal kommt sie nicht hinauf, die Gläser und Krüge sind vor ihr sicher, auch der geräucherte Schinken im Schinkenbeutel. Frösche mag ich gern in der Hand halten, es macht Freude, wenn sie sich stemmen und spannen und aus der geschlossenen Hand herauswollen, aber Kröten fasse ich nicht

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