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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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wann hat sie mir wohl auch ihr Erschrecken vorgespielt, nur um mich unruhig zu machen. Eines Nachts, als sie gerade gehen wollte, hat sie rasch durch das Fenster gesehen, über den Kulturen hing ein kalter Mond, und plötzlich stieß sie einen Schrei aus und deutete hinaus zu den jungen Koniferen, zwischen denen angeblich ein großes zottiges Tier mit glimmenden Augen stehen sollte, ein nie gesehenes Tier, das mächtige geschwungene Hörner hatte und ein silberweißes Vlies. Wo, fragte ich, wo, und sie immer nur: Da, siehst du nicht, da, mitten in den Spalieren, und sie hörte nicht auf zu zeigen und drängte sich an mich und hielt sich an mir fest. Ich habe nichts gesehen, und am nächsten Morgen fanden sich auch keine Spuren zwischen den Koniferen, so lange ich auch suchte.
    Auf dem Kollerhof, da gab es nicht mal ein einziges Sicherheitsschloß, da konnte ich keine Schutzschiene vor meine Kammertür schieben, nur verhaspeln konnte ich die Tür, mit einer krummen Haspel sichern, die aber jedem festen Zugriff, jedem Rütteln nachgegeben hätte. Der Chef lachte nur, als ich ihn um ein Schloß bat, er wollte wissen, ob ich ihnen nicht mehr traute, und Dorothea, die im Sommer sogar bei offener Tür schlief, fragte mich, welchen Schatz ich vor ihnen verbergen wollte. Alles wurde verbessert, verschönert, so daß Magnussens verwahrlostes Anwesen kaum noch wiederzuerkennen war, nur auf Schlösser und Schlüssel legten sie keinen Wert. Wir dichteten das Dach und räumten die Nester der Spatzen aus; wir brachen eine Wand durch, mauerten dem Küchenherd einen neuen Abzug, legten den Flur mit Holzdielen aus, verstopften die Fensterritzen mit Moos, schlugen dem Zaun heile Latten an, wir fegten und spachtelten und kalkten, doch ans Verschließen dachte niemand, und als sie herausfanden, daß ich meine Tür mit einer Haspel gesichert hatte, schüttelten sie nur den Kopf.
    Die offene Stelle beim Kamin, die wurde nicht abgedeckt, es störte mich nicht, wenn sie unten in der Wohnstube miteinander sprachen, oft schläferten mich ihre Stimmen ein, das war wie das Murmeln der Holle im Frühjahr; oft erfuhr ich auch, welche geheimen Sorgen sie hatten. Einmal hat Dorothea dem Chef vorgerechnet, daß wir wohl zwanzig Jahre auf Schulden sitzen würden, und der Chef hat darauf gesagt: Du vergißt, daß wir Glück haben können. Das hat er gesagt und ist dann in den Regen hinausgegangen, um die alte Hecke auszudünnen, in der sich Weißdorn, Holunder und Haselstrauch bedrängten. Vieles erfuhr ich beim Zuhören, ich wußte immer Bescheid und konnte mich einrichten auf das Bevorstehende.
    Traurig war ich, als ich hörte, daß sie mich in eine Lehre geben wollten, weg vom Kollerhof und unserm Land, zu Meister Paulsen, der noch Reetdächer decken konnte, und wenn nicht zu ihm, dann zu Boom, dem letzten Peitschenmacher, der die halbe Ostküste belieferte; auch Tordsen mit seinem Kolonialwarenladen erwogen sie. Der Junge kann doch nicht neben uns herleben, sagte Dorothea. Wir dürfen ihn doch nicht sich selbst überlassen, sagte sie. Und sie sagte auch: Wir haben doch die Verantwortung für seinen Werdegang – ein seltsames Wort, doch das gebrauchte sie: Werdegang. Obwohl es ihm nicht leicht fiel, mußte der Chef ihr schließlich recht geben, er bekannte, daß er mich entbehren würde bei allen Arbeiten, er lobte meine Willigkeit, meine Ausdauer, er sagte sogar, daß es ihm Freude mache, mich neben sich zu haben, aber am Ende war er bereit, mir in meinem Werdegang nichts in den Weg zu legen. Sie waren sich schnell darin einig, daß es nicht einfach wäre, etwas für mich zu finden, sie sahen da allerlei Schwierigkeiten und Widerstände voraus. Vergiß nicht, sagte der Chef, daß unser Bruno anders ist als die andern, und solch ein Satz genügte schon, um von einem bestimmten Plan Abschied zu nehmen. Dorothea wollte es übernehmen, zuerst meine Wünsche aus mir herauszufragen, und danach wollten sie mich gemeinsam davon überzeugen, daß eine Lehre oder eine Ausbildung an anderm Ort mir später helfen würde, weiterzukommen, voranzukommen.
    Dieser Morgen, diese Dämmerung, und die gefrorene Wiese knirschte und krachte unter unseren Schritten, als der Chef mich zu Jakob Ewaldsen brachte, dem Bruder unseres Vorarbeiters; als er mich in sauberem Hemd und mit geschnittenen Haaren und in wasserdichten Rohlederstiefeln meinem neuen Arbeitsplatz zuführte, der Postnebenstelle von Hollenhusen. Jakob Ewaldsen verwaltete die Poststelle an den Vormittagen,

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