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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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herbei, uns zu helfen, doch als wir mit der letzten Fuhre abzogen, wünschten uns ein paar alles Gute und begleiteten uns bis zum Bahndamm, von wo aus sie uns lange nachblickten.
    Max war der einzige von uns, den der Umzug unerregt ließ; was ihm gehörte, sammelte und band er erst im letzten Augenblick zusammen, und so, wie er hinter der Karre hertrottete, mußte man von ihm annehmen, daß er mit jedem neuen Zuhause einverstanden war. Ina und Joachim stritten sich auf dem ganzen Weg darüber, wer von ihnen die große Kammer auf dem Boden beziehen sollte, deren Fenster zum Dänenwäldchen hinausgingen; sie waren schon vorher heimlich auf dem Kollerhof gewesen, zumindest waren sie um das Haus herumgeschlichen, um alles zu untersuchen. Am meisten leid tat mir Dorothea, sie saß vor unserem Aufbruch ganz regungslos auf den geschichteten Strohsäcken, ihre Lippen waren blaß, sie bibberte, und ich sah, daß sie weinen wollte und nicht weinen konnte; vielleicht fiel ihr der Abschied von diesem Raum so schwer. Doch dann, als der Chef und ich den Barackenraum ausfegten, als wir mit unseren Besen zusammenstießen und sie gleich darauf wie kleine feindliche Hunde übereinander herfallen ließen, da hob Dorothea das Gesicht und lächelte, und der Chef warf den Besen hin und zog sie hoch und hielt sie ganz fest. Ach, Dotti, sagte er, und das war schon alles, und dann schleppten sie gemeinsam die Strohsäcke hinaus.
    Magnussens Neffe erwartete uns in der Wohnstube, ein selbstbewußter, altmodisch gekleideter Riese, der es bedauerte, uns das Haus nicht gereinigt übergeben zu können, nicht befreit von allem Krimskram und dem kuriosen Zeug, das sich so angesammelt hatte in einem Leben, dabei zeigte er auf zwei Haufen, zu denen er alles, was ihm nutzlos vorkam, zusammengeworfen hatte, fertig zum Abtransport. Ich beschloß gleich, den ausgestopften Iltis zu retten und einige Bilderrahmen und Formen zum Ausstechen von Keksen; doch zuerst folgten wir Magnussens Neffen durch das Haus, linsten in alle Kammern und Verschläge, legten unsere Hände auf den Kachelofen, prüften das Klo, das nur aus rohen Brettern gemacht war, zogen durch Stall und Schuppen, und zum Schluß bekam der Chef den einzigen Schlüssel, den es auf dem Kollerhof gab. Dann wünschte uns Magnussens Neffe eine gute Zeit und ging am Rand der überschwemmten Wiesen zum Bahnhof von Hollenhusen.
    Der Wind, damals habe ich zum ersten Mal den Wind gesehen in seiner beweglichen Gestalt, ich habe ihn durch das einzige Fenster meiner Kammer gesehn, ein trübes Dachfenster, das auf den Himmel hinausführte: grauweiß zog er vorüber, drehte und verrenkte sich und ließ Laken hinter sich herflattern und Säcke, und dabei pfiff er und spielte auf knarrenden Drähten. Kaum war ich allein in der kleinen Bodenkammer, die der Chef mir angewiesen hatte, da sah ich ihn auch schon, und ich wollte gleich hinüberrennen zu Ina, die die große Bodenkammer bekommen hatte, wollte ihr zeigen, was ich entdeckt hatte, doch da teilte sich schon der Wind und fuhr in einen Saatkrähenschwarm, den er wohl aufs Dänenwäldchen hinabschleuderte. Als ich meine Kammer anguckte, da wußte ich bereits, daß ich oft wach liegen würde in der Nacht – es knisterte immerfort in den Wänden, aus dem moosbewachsenen Dach war manchmal ein Knurren zu hören, und weil dort, wo der Kamin war, die Bodenbretter nicht dicht schlossen, konnte ich verstehen, was unten vor sich ging, in der Wohnstube. Max und Joachim, die fanden sich erst damit ab, zusammenzuziehen, als der Chef versprach, eine Mauer zu durchbrechen und die geräumige Vorratskammer zum Arbeitszimmer zu machen. Um herauszubekommen, ob Ina mich belauschen konnte, klopfte ich ein paarmal an die gekalkte Holzwand, bald klopfte sie zurück, und da wußte ich Bescheid.
    Am ersten Abend gab es Bratkartoffeln und rote Bete, wir seufzten in der Wärme, die der Kachelofen ausstrahlte, wir aßen und seufzten und zogen unsere Jacken und Pullover aus. Der Chef knöpfte sein Hemd auf, so daß die rot unterfeuerte Narbe auf der Brust zu sehen war, und auf einmal hat Joachim ihn gefragt, ob er auch eine Rente bekäme so wie Redlefsens Vater, dem sie einen Arm abgeschossen hatten; darauf hat der Chef nur geschmunzelt und dann gesagt, daß ihm seine Narben mehr wert seien als das, was sie ihm dafür geboten haben, Narben dieser Art dürfe man nicht verramschen. Das hat er gesagt. Später kam beißender Qualm aus dem Küchenherd, zuckende Schleier hüllten uns ein, und

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