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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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an den Nachmittagen reparierte er landwirtschaftliche Maschinen; er war der einzige, der sich bereitgefunden hatte, mich anzunehmen – nicht Meister Paulsen, der reisende Dachdecker, und auch Tordsen nicht, der mich in seinem Laden nur ansah und sich gleich schützend vor seine Waren stellte. In der Nacht hatte ich nur wenig geweint, und ich war schon gewaschen und angezogen, als der Chef mich holen kam, und nach einem schweigsamen Frühstück – Dorothea schmuggelte ein paar Rosinen in meine Hafergrütze – zogen wir los, über Wiesen, über ein klumpiges Feld und dann auf den Pappelweg nach Hollenhusen.
    Zwei Elstern flogen uns voraus, setzten sich, erwarteten uns, schwangen ab und setzten sich bald wieder. Wir wußten beide, der Chef und ich, daß wir traurig waren, darum sagten wir nicht viel.
    Der Mann, der mich angenommen hatte, grüßte freudlos, als wir den trüben Raum der Postnebenstelle betraten; gleichgültig schnappte er sich das Tabakpäckchen, das der Chef ihm zuschob, lud uns mit einer Handbewegung ein, auf der einzigen ramponierten Bank Platz zu nehmen, und fuhr fort, einen Stapel Post auf drei offene, in Gestellen hängende Säcke zu verteilen; danach verschnürte er die Säcke und stellte sie neben die Tür, abholbereit für den Bus, den er jeden Augenblick erwartete. Jakob Ewaldsen war anders als sein Bruder, breit war er, gedrungen, seine Haut glänzte nach ausgelassenem Fett, und in seinem Gesicht war immer ein Ausdruck von Verdrossenheit. Als er mich anstierte mit all seiner Verdrossenheit, da hoffte ich schon, daß er seine Zusage widerrufen und mich wegschicken würde, doch er forderte mich nur auf, vor die Tür zu gehen und nach dem Bus Ausschau zu halten, gewiß wollte er noch einmal mit dem Chef allein sprechen. Bevor noch die Lichter des Busses vom Pappelweg herüberschwenkten, wurde ich wieder in den Raum gerufen, der Chef legte mir einen Arm um die Schulter, und nach einigem Schweigen erfuhr ich, daß ich Posthilfsangestellter zur Probe war – aber nur zur Probe, sagte Jakob Ewaldsen, damit das klar ist.
    Bruno bekam anfangs nur schwer Luft in dem niedrigen, kahlen Raum – ob ich fegte oder die lederne Posttasche wienerte, ob ich zählte, Briefe für die Zustellung sortierte, das Porto prüfte oder stempelte: nach einer gewissen Zeit wollte mir immer der Atem ausgehen. Ich stürzte dann einfach mitten in der Arbeit nach draußen, pumpte und pumpte, sog mich ganz voll mit erfrischender Luft.
    Jakob Ewaldsen kümmerte sich nicht viel um mich, er sagte mir nur, was er getan haben wollte, warf mir die Dienstvorschrift für Postangestellte hin, riet mir vielleicht noch, im Zweifelsfall alles Nötige in der Vorschrift nachzulesen, dann widmete er sich schon seinen Kladden und Tabellen, oder er ging in seine angrenzende Wohnung, um seine Frau ins Verhör zu nehmen und ihr einmal mehr vorzurechnen, daß sie sein Geld verplemperte. Oft schlug er sie auch, es waren immer die gleichen kurzen Doppelschläge, unter denen die Frau immer in der gleichen Tonlage schrie, manchmal schrie sie auch vorsorglich, bevor die Schläge sie trafen; von ihm selbst war, solange er schlug, kein Wort zu hören. Einmal, ich hatte vierzehn Schläge gezählt, wurde es plötzlich ganz still, da stand ich auf und öffnete vorsichtig die Tür und fand Jakob Ewaldsen und seine Frau am Tisch, sie saßen sich gegenüber und tranken aus blauen Emaillebechern Kaffee. Es gelang ihm, sich von einem Augenblick zum andern zu beruhigen, seine Zornfarbe zu verlieren, das hat er mir oft genug vorgemacht, wenn er das Abstrafen unterbrechen mußte, um einen seiner seltenen Vormittagskunden abzufertigen.
    Am liebsten zog ich mit der Segeltuchtasche los, um die Hollenhusener Briefkästen zu leeren, den beim Höker Tordsen, den am Bahnhof und schließlich den bei uns; ich schüttelte die Briefe mehrmals durch, schwenkte und stuckerte sie, so daß in der Tasche ein kleines Stiemwetter entstand, und in der Poststelle kippte ich alles in einen Korb und machte mich gleich daran, die Bestimmungsorte der Briefe festzustellen. Wo die überall hinwollten! Redlefsens Briefe mußten immer nach Schleswig, Tordsen wollte seine Doppelbriefe, oft unterfrankiert, nach Flensburg befördert haben, Fräulein Ratzums zierlich beschriebene Umschläge gingen nicht, wie die von Lauritzen, nach Kappeln, sondern an Doktor Ringleb nach Husum. Zeigte sich hin und wieder, rotblau schraffiert, ein Luftpostbrief, dann wußte ich gleich, daß er nach Amerika

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