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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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aufs Pedal und rollte die sanfte Neigung hinab, das gab Schwung für den Weg über die Brücke, die ich, seitdem ich allein fuhr, jedesmal im Laufschritt nahm. Es holperte, rüttelte, als ich über den unebenen Ziegelweg fuhr, die Päckchen an der Lenkstange zappelten und schlugen gegeneinander, ich hörte nicht, ich sah nicht, was mir entgegenkam, vom Erlenhof, vom größten Hof in Hollenhusen, auf dem Lauritzens Schwester herrschte.
    Eine Deichsel, das Pferd schleifte in wildem Galopp eine Deichsel hinter sich her, die nur so schleuderte und polterte und deren eiserner Beschlag Funken aus den Steinen riß, ich sah die Hufe, das schlimme Weiß in den Augen, die Mähne wehte, Schaum flog, ein wildes Schnauben war in der Luft. Das durchgegangene Pferd kam genau auf mich zu, es wich nicht aus, wurde nicht langsamer, als es mich auf der gerundeten Brücke sah, es hatte es bestimmt auf mich abgesehen, wollte mich umrennen, wegmähen mit der wirbelnden Deichsel, da mußte ich springen, da blieb mir nichts anderes übrig, als das Fahrrad ans Brückengeländer zu stoßen und selbst hinter den schützenden Granitstein zu springen und mich zu ducken. Mit geschlossenen Augen ließ ich das Gewitter vorbei, es rumpelte und knallte, und die ausschlagende Deichsel streifte das Fahrrad und traf den Stein mit voller Wucht.
    Das dunkle Flüßchen, die treibenden Briefe überall, weiße, braune Briefe und Streifbandsendungen und die Posttasche, die langsam versackte, ich sah es mit einem Blick und sah die mit Papier gesprenkelte Böschung und den abgerissenen Gepäckträger, auch das Hinterrad hatte eins abbekommen und hatte sich zur Acht verzogen, sogar das Rohrgeländer der Brücke war eingebeult, nur mich hatte die Deichsel nicht erwischt, mich nicht. Das Pferd hörte nicht auf zu galoppieren, es verschwand schon hinter dem Pappelweg. Ich sprang die Böschung hinab und barg zuerst die Posttasche, dann lief ich flußabwärts zu den Briefen, die die Strömung am weitesten weggeschwemmt hatte, ein Stock fehlte, ein Stock mit einer kleinen Astgabel, um das Treibende aufzufischen, doch es fand sich nichts, und weil einige Umschläge sich vollgesogen hatten und schon unter Wasser dahintrieben, sprang ich in die Holle und suchte und sammelte zusammen, was die kleine Strömung mir zutrieb. Bis zu den Schenkeln reichte mir das Wasser, ich spürte nicht den Stau, nicht die Kälte, watete nur in Richtung Brücke und grabschte und tauchte bis zum Ellenbogen, in all der Eile konnte ich nicht jeden einzelnen Brief aufs Trockne bringen, ich klatschte einfach die nassen Umschläge zusammen, einen auf den andern, nicht anders als nasse Taschentücher, und wie Taschentücher drückte ich sie langsam am Ufer aus, wrang sie nicht, sondern drückte sie nur aus, wobei zu meinem Schrecken manche Schrift verblaßte, verschlierte. Ich wischte die Posttasche mit meinem Pullover aus. Ich sackte die nassen Briefe ein. Ich stieg zum Fahrrad hinauf oder wollte gerade zu ihm hinaufsteigen, als ein Eisvogel sich beim Brückenfuß in die Holle stürzte, knapp neben einer Krautinsel tauchte er ein, und die Holle verriet nicht, ob er flußaufwärts oder flußabwärts lief.
    Das Hinterrad eierte und schleifte am Schutzblech, ich konnte meinen Weg nicht fortsetzen, konnte nicht die nassen Postsachen zustellen; so kehrte ich um, die Tasche über der Schulter, in Gedanken schon damit beschäftigt, die Briefe zum Trocknen auszulegen im Hintergarten der Poststelle und sie danach mit dem schweren Plätteisen von Frau Ewaldsen zu plätten. Ein Mann rannte an mir vorbei, er kam bestimmt vom Erlenhof und versuchte, das Pferd einzufangen, auch die beiden Mädchen, die mich auf neuen Fahrrädern überholten, kamen gewiß vom Erlenhof, hochgewachsene Mädchen, die sich über mich lustig machten, die plötzlich umbogen und zurückkamen, nur um mich von vorn zu sehen, und während sie mich umradelten, hörte ich eins der Mädchen sagen: Der sieht vielleicht aus, und das als Postbote. Da habe ich mich weggedreht und gewartet, bis sie weit fort waren, und über einen holprigen Gehweg bin ich zur Poststelle zurückgegangen und habe gleich die Briefe, die zu einem Kuchen zusammengebacken waren, zum Trocknen ausgelegt und meine Strümpfe dazu.
    Unbemerkt, denn Jakob Ewaldsen lag immer noch mit Fieber, und seine Frau mußte bei Tordsen für eine Hochzeit vorkochen. Barfuß glitt ich durch das Gras, ich wendete die Briefe, ich fächerte und wedelte mit ihnen, und unter einer

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