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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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unverschleierten Sonne trocknete alles ganz schnell, ich mußte mich wundern, wie schnell alles trocknete. Die Sonne hatte so viel Kraft, daß das Papier sich verzog, daß es sich krüllte, wellte, manche Briefe sahen aus, als wären sie voller Luftblasen, beim Wenden fiel mir auch auf, daß der Leim nicht mehr hielt und viele Umschläge sich öffneten.
    Die Posttasche, die wollte nicht so schnell trocknen, obwohl ich sie schräg legte und stützte, so daß die Sonne hineinlangen konnte bis auf den Grund. Als aus einem aufgegangenen Brief ein Geldschein hervorlugte, erschrak ich ein wenig und versuchte sofort, den Brief mit Spucke wieder zuzukleben, doch meine Spucke hielt nicht, der gewellte Umschlag öffnete sich alsbald, weil die Holle und die Sonne ihm die Klebekraft genommen hatten; deshalb sammelte ich nach dem Trocknen alle Postsachen ein und trug sie in unseren Arbeitsraum, um dort mit Hilfe des Leimpottes nachzukleben. Vor dem Plätten sollte alles schön verleimt werden.
    Ich kippte die Ladung auf die ehemalige Tonbank, die unser Arbeitstisch war, sortierte, prüfte und klebte, der Leim roch so süß, daß ich ihn am liebsten probiert hätte, der honigfarbene, fädenziehende Leim, der sich immer leichter auftragen ließ, je länger ich klebte. Einmal erschien ein Postkunde an der Tür, er klopfte und rief, obwohl das Pappschild ihn darauf hinwies, daß wir vorübergehend geschlossen hatten, er ging einfach nicht weg, und als ich ihm schließlich öffnete, wollte er mir nur einen frankierten Brief aushändigen, den er gut und gern in den Postkasten neben der Tür hätte werfen können. Ab und zu hielt ich inne und lauschte, denn die Poststelle war ein Haus des Echos: ließ sich ein Seufzen hören, dann antwortete ihm bald ein schwächeres Seufzen, auf einen deutlichen Schlag folgte ein undeutlicher, und erhob sich eine Stimme, dann gab eine ferne, abgenutzte etwas zurück. Ich lauschte gerade einem Echo, als der Drücker der Wohnungstür niederging, nackte Füße erschienen, der Saum eines Nachthemdes, und dann stand mir Jakob Ewaldsen gegenüber, verwirrt zuerst, weil er mich unterwegs glaubte, nach einem Augenblick aber schon mißtrauisch und mit zunehmendem Verdacht, und so kam er näher, ohne ein Wort zu sagen, und als er neben mir war, riß er mir den Brief aus der Hand, den die Holle und die Sonne geöffnet hatten, durchfingerte den Umschlag und zog auch gleich einen Geldschein heraus, den er mir vors Gesicht hielt und dann auf den Tisch knallte. Und noch bevor ich etwas sagen konnte, sagte er: Das also; und sie nennen dich Hohlkopf und Dösbaddel; das also. Mehr sagte er nicht.
    Er schlug kurz zu und genau, ich sah den Schlag gar nicht kommen, doch selbst wenn ich seine Faust gesehen hätte, wäre ich nicht ausgewichen, denn etwas hielt mich fest, etwas machte, daß ich steif und unbeweglich war, so daß ich mich nicht einmal wegduckte, nachdem er mich zum ersten Mal getroffen hatte. Wie oft er zuschlug, bis ich hinfiel, das weiß ich nicht mehr, ich weiß nur, daß er mich am Kinn traf, am Kopf, und daß es ganz warm wurde in meinem Mund, mein Mund füllte sich mit einem sämigen Zeug, das ich runterschlucken mußte, um Luft zu bekommen, aber da lag ich schon, lag neben dem Gestell für die Richtungssäcke, und ihn, Jakob Ewaldsen, sah ich nur schwebend in seinem grauweißen Nachthemd, in seinem Fieberhemd. Hochgerissen, plötzlich hat er mich hochgerissen, und während er mich mit einer Hand gegen die Wand drückte, hat er mich mit der anderen Hand abgetastet, abgeklopft, alle Taschen hat er nach außen gestülpt, sogar unterm Hemd hat er gesucht, ohne zu finden, worauf er aus war. Was ich ihm sagen wollte, konnte ich ihm nicht sagen, weil es in meinem Mund nur quoll und quoll, ich hatte mir unter einem seiner Schläge in die Zungenspitze gebissen, und der Schmerz hätte mich wer weiß wohin rennen lassen, wenn ich mich nur auf den Beinen hätte halten können. Mir fiel es nicht gleich ein, den Chef zu rufen. Ich war wohl zu betäubt, um ihn herbeizuwünschen, und als ich es schließlich tat, da dauerte und dauerte es, bis er kam, und er hat mich auch nicht gleich fortgebracht, sondern hat zuerst Jakob Ewaldsen zur Rede gestellt, so erregt und aufgebracht, daß ich schon dachte, nun geht es zwischen ihnen los. Einmal sagte der Chef: Wir sprechen uns wieder, und er sagte auch: Ein Kind, sich an einem Kind zu vergreifen, und zum Schluß sagte er noch: Du bekommst deine Quittung, wart nur ab.
    Es war

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