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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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schön, krank zu sein, nicht am Anfang, aber zuletzt: zweimal am Tag kam der Chef in meine Kammer und saß bei mir und hatte immer etwas zu erzählen. Dorothea kam sogar fünfmal, kam mit Suppen und Brotpudding und Brei und sah zu, wie ich alles aufaß, und auch die anderen kamen und brachten mir manchmal etwas mit; Max teilte mit mir eine Apfelsine. Durch mein Dachfenster habe ich den großen Vögeln zugesehen, den Bussarden, die ohne einen einzigen Flügelschlag kreisten und plötzlich wie übermütig durcheinanderstoben, und nachts stand dort der Mond und ließ sein Licht gerade in meine Kammer fallen, sein gelbgrünes Licht. Oft hörte ich zu, wenn sie unten sprachen, beim Essen oder an den Abenden, ich brauchte nur an die Wand zu rücken, um alles mitzubekommen. Über mich sprachen sie nur selten, meist hatte Ina das Wort, die immer von den beiden Fahrschülern erzählen mußte, von Rolf und von Dieter, mit denen sie täglich zur Schule nach Schleswig fuhr; beide mußten sehr gute Läufer sein, denn beide konnten neben dem abfahrenden Zug ein ganzes Stück herrennen. Joachim war kaum zu hören, und Max, der uns verlassen wollte, sprach gerade so viel, daß ich wußte: der ist noch da. Einmal bekam ich im letzten Augenblick mit, wie Dorothea sagte: Dann behalt doch den Jungen bei dir, und der Chef sagte darauf: Nichts, was ich lieber täte. Da hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre hinuntergelaufen.

Jetzt ist Magda eingeschlafen. Ich darf nicht mehr sprechen, darf mich nicht rühren, ich muß ganz ruhig liegen, damit ihr Arm nicht von meiner Brust gleitet und ihre Füße bedeckt bleiben, sie wacht schon bei der geringsten Bewegung auf, und wenn sie erst wach ist, ist sie schlecht gelaunt und will gehen. Im Schlaf sieht Magda immer anders aus als im Wachsein, alle Strenge geht aus ihrem Gesicht, die Lippen fallen auseinander und werfen sich auf, über den Nasenwurzeln erscheint eine kleine Falte, gerade als ob sie angestrengt über etwas nachdenkt, doch nach einer gewissen Zeit ändert sich auch dieser Ausdruck, und Magdas Gesicht erschlafft und sieht nur noch zufrieden und ein bißchen zerknautscht aus. Auch wenn sie es nicht gern hört, aber im Schlaf, da riecht sie nach Milchreis.
    Wenn ich nur wüßte, wonach sie geforscht hat; sie war kaum gekommen, da zog sie schon die Schubladen der Kommode auf und ordnete und glättete, verteilte und brachte zusammen, was zusammen gehört, und danach packte sie die Truhe aus, legte alles auf den Fußboden und schüttelte den Kopf, nicht belustigt wie sonst, sondern enttäuscht und ratlos, und das tat sie auch, nachdem sie durch den Vorhang getaucht war und mein Gestell abgesucht hatte. Sie hat bestimmt gehofft, etwas bei mir zu finden, sowie auch Max wohl darauf aus war, etwas Besonderes zu entdecken, aber beide haben mir verschwiegen, was es war, beide. Allzuviel mag ich Magda nicht fragen, denn sie kann vieles Fragen nicht leiden und wird schnell ärgerlich und gereizt, oft sagt sie nur: Wenn du so weiter fragst, dann gehe ich. Es ist schon besser, zu warten, bis sie von selber spricht. Das Wichtigste: sie hat den Chef gesehen, sie ist dazugekommen, wie er mit den anderen am Tisch saß, seinen doppelten Wacholder schluckte und sich dann von Dorothea Apfelgrütze auffüllen ließ, während die anderen Brot und Aufschnitt aßen und ihren Tee tranken. Magda hat genau gehört, wie sie in seiner Gegenwart über Haushaltskosten sprachen, Joachim hatte ein Blatt Papier vor sich liegen, von dem er Summen ablas, die er manchmal ohne ein weiteres Wort wiederholte, und der Chef saß dabei, ruhig und in sich gekehrt, als ginge ihn das alles nichts an. Ich kann mir vorstellen, daß er nur für sich gelächelt hat, als sie in seinem Beisein die Haushaltskosten überprüften, ohne sich an ihn zu wenden, an ihn, dem alle hier etwas zu verdanken haben, nicht nur die in der Festung. Als Magda ihnen zum zweiten Mal Tee brachte, waren sie immer noch dabei, Summen zu nennen und zu überprüfen. Keiner hatte mehr Lust zu essen, und zu sagen hatten sie immer nur wenige Worte, Worte des Zweifels oder der Bestätigung, die Joachim auf seinem Blatt Papier notierte, neben einem geistesabwesenden Chef, der sich kein einziges Mal einmischte und nicht einmal den Kopf hob, als er selbst erwähnt wurde. Daß sie sich sorgten, konnte Magda schon beim Eintreten sehen, Ina ist ihr noch nie so bedrückt vorgekommen, und Joachim zuckte ein paarmal die Achseln, als sähe er keinen Ausweg; nur Dorothea und

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