Lenz, Siegfried
Max, die wollten sich nicht abfinden, die fragten und fragten nach und überschlugen und setzten neu an.
Es war Joachim, der plötzlich den Vorschlag machte, Lisbeth zu entlassen. Magda hat sich nicht verhört, sie war so erschrocken, daß sie sich an der Tür umwandte und zurückblickte, und da wiederholte Joachim den Vorschlag, sich von Lisbeth zu trennen und ihr eine Abfindung zu zahlen für alle Dienste. Die andern am Tisch sahen ihn nur bestürzt an, schweigend und bestürzt, vielleicht, weil keiner so weit zu gehen wagte in seinen Gedanken und Vorschlägen, weil Lisbeth doch schon in der Rominter Zeit für die Familie des Chefs gearbeitet hatte und, als sie in Hollenhusen auftauchte, nicht anders aufgenommen wurde, als hätte man jahrelang auf sie gewartet. In ihr Schweigen hinein nannte Joachim die Summe, die Lisbeth als Lohn erhielt, er las die Summe vom Blatt ab und ermittelte einen weiteren Betrag für Essen und Unterkunft.
Gerade wollte Magda den Raum verlassen, da stand der Chef auf, er guckte sie alle der Reihe nach an, er ließ sich Zeit wie so oft, nichts entging ihm, und ich kann mir denken, daß sie nur betreten dasaßen und darauf warteten, was er ihnen zu sagen hätte, er, der auch im Halbschlaf zuhören kann und nichts von Wichtigkeit vergißt. Gern wäre ich auch dabeigewesen, als er sie zuerst mit seinem Blick zurechtwies und dann sagte: Lisbeth bleibt, merkt euch das. Und das war schon alles. Er ist dann noch einen Augenblick stehengeblieben, gerade so, als ob er Fragen erwartete, Widerspruch, aber keiner hat es gewagt, ihm etwas zu entgegnen, nicht einmal Dorothea, und er hat auf den Tisch geklopft, wie er es manchmal tut, und ist hinausgegangen, gleich nach Magda.
Und auf dem Flur hat er Magda plötzlich am Arm gefaßt und sie mit sich gezogen, er brachte sie in sein Zimmer, er bot ihr den gepolsterten Stuhl an, auf dem auch ich schon gesessen habe, und bei allem sagte er nichts und gab keine Erklärung, so daß Magda sich wie von selbst beruhigte. Als er sich auf die leere Schreibtischplatte hinabbeugte, als er sein Gesicht mit den Händen bedeckte, als er in Unentschiedenheit vor sich hinstarrte, da dachte Magda schon, daß ihm entfallen sei, warum er sie mit sich gezogen habe, aber dem Chef entfällt nichts, das müßte sie wissen, nichts, und wenn sie ihn dreimal entmündigen. Der Umschlag; in seinem Schreibtisch suchte und fand er einen doppelten Umschlag, auf den er Lisbeths Namen schrieb; danach bat er Magda, einen Moment ans Fenster zu treten und sich nicht umzudrehen, und Magda tat, was er verlangte; sie tat es und sah im Spiegelbild, wie der Chef das Polster des Stuhls anhob und eine Ledertasche hervorholte, die er zum Schreibtisch trug und öffnete. Jetzt, sagte Magda, durfte sie sich umdrehen, und sie sah zu, wie der Chef aus der Tasche allerlei herausnahm, Dokumente und Geld und einige Etuis, doch das war es nicht, wonach er suchte, ihm war nur an dem Photo gelegen, auf dem der Vater des Chefs zu sehen war und neben ihm eine junge, aber schon verdüsterte Lisbeth. Beide, sagte Magda, saßen dicht zusammen auf einer rohen Bank, der Vater des Chefs rauchte Pfeife, Lisbeth hielt einen Korb auf dem Schoß. Dies Photo legte der Chef in den Umschlag, legte noch etwas Geld dazu und bat Magda, damit sogleich zu Lisbeth zu gehen und es ihr zuzustecken.
In Lisbeths Zimmer bin ich noch nie gewesen, es soll groß und schattig sein, die hohen Rhododendren vor dem Fenster sorgen immer für Dämmerung, zwei Wanduhren hängen sich gegenüber, und unter ihrem Bett liegen verschnürte Kartons und Pappkoffer. Am Kopfende des Bettes ist ein Jahreskalender angepinnt, auf dem jeder vergangene Tag durchgestrichen wird. Bilder, sagt Magda, gibt es nicht, nur einen gestickten Wandläufer, auf dem zwei Mädchen zwischen Wasserrosen schwimmen. Für Besuch ist sie nicht eingerichtet, wer zu ihr kommt, findet sie in dem einzigen altersschwachen Sessel, aus dem sie sich wohl nur erhebt, um schlafen zu gehen. Magda ist schon öfter bei ihr gewesen, und immer saß Lisbeth in ihrem Sessel, und sie saß dort auch, als Magda mit der Sendung des Chefs kam, nur in der Absicht, den Umschlag zu überreichen und gleich wieder fortzugehen; doch zu ihrer Überraschung wurde sie aufgefordert, sich auf die Bettkante zu setzen, zu warten. Schwach nur war die Freude über das, was der Umschlag enthielt, Lisbeth hat das Geld nicht einmal gezählt, und das alte Photo hat sie lediglich zu einem kurzen Lächeln gebracht, sie
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