Lenz, Siegfried
hat beides auf das Fensterbrett gelegt und sich eine Weile bedacht und dann gesagt: Ein Photo und Geld, das gibt man zum Abschied.
Magda hat schon immer vermutet, daß Lisbeth mehr weiß als andere, und nachdem sie lange genug gewartet hatte, zeigte es sich, daß sie recht hatte mit ihrer Vermutung. Lisbeth begann, von sich selbst zu sprechen, in Andeutungen zuerst und dann zunehmend offener und deutlicher. Wenn Magda nicht so aufgeregt gewesen wäre, hätte sie noch mehr behalten von allem, was Lisbeth erzählte, ich kenne das bei ihr; ich weiß, daß nichts bei ihr hängenbleibt, wenn sie aufgeregt ist, aber soviel wollte sie verstanden haben: Für uns in Hollenhusen beginnen schwere Zeiten, allzulange werden wir nicht mehr bleiben, hat Lisbeth gesagt. Alles hängt in der Luft, hat sie gesagt und hinzugefügt, daß wir alle jetzt nur noch hoffen könnten.
Lisbeth kann es nur von den andern wissen, vielleicht von Ina, vielleicht von Joachim; sie hat bestimmt nur wiederholt, was man ihr hingestreut hat als Erklärung, ich weiß es nicht, aber ich weiß, daß nur der Chef allein etwas retten könnte, wenn etwas gerettet werden soll, er, dem keiner das Wasser reichen kann. Er braucht nur ein wenig nachzudenken, dann ahnt er schon, was zu tun ist, er sieht alles, er spürt und erkennt alles, gegen seine Ausdauer kommt niemand an; niemand kann Pläne machen wie er, die immer noch aufgegangen sind. Wenn hier alles in der Luft hängt, dann brauchen sie doch nur ihn zu fragen, bisher hat er immer gewußt, wo die sicheren Wege verlaufen, und er war immer bereit, von seinem Wissen abzugeben.
Wer mit ihm Stecklinge setzt, dem wird er sogleich erzählen, warum Laubgehölzstecklinge in den frühen Morgenstunden geschnitten werden sollen, nicht mit dem Messer, das ist gar nicht nötig, sondern mit der Schere, und er wird jedem beweisen, daß es gut ist, den Schnitt dicht unterhalb eines Knotens zu führen. An den Knoten, Bruno, hat er gesagt, da stauen sich die Wuchsstoffe, da wird die Wurzelbildung gefördert. Ändere, die behalten ihr Wissen für sich, die tun etwas, aber sagen keinem, aus welchem Grund sie es tun und was sie bei allem erwarten; er hingegen sagt immer, warum er etwas so tut und nicht anders, mir hat er es oft gesagt.
Ich brauche nur daran zu denken, wie wir dicht nebeneinander im Schuppen oder auf dem Land arbeiteten, dann höre ich schon seine Stimme, dann ruft er mich schon und macht mir vor, wie fleischige Wurzelstecklinge geschnitten und wie Triebstecklinge ausgesetzt werden, und er muß mir einfach sagen, warum wir Taxus im April stecken und Potentilla im Juni und Koniferen, bei denen es lange dauert bis zur Bewurzelung, erst im September. Zu Beginn, da ließ er mich einen Steckling halten und zeigte mir, wie sich an der Schnittstelle Wundgewebe bildet – er sagte Kallus dazu –, so ein fetthaltiger Abschluß, durch den die Adventivwurzeln hindurchwachsen, oder er erklärte mir, warum er die Senker scharf knickte und die Rinde absichtlich verwundete. Er wollte eben, daß ich alles kannte, womit ich umging, und daß ich über das Bescheid wußte, was er mir auftrug – er, den noch keiner in Verlegenheit gebracht hat, nicht einmal die mißgünstigen Hollenhusener, die an Sonntagen zu uns herauskamen und an unseren Kästen und Beeten entlangzogen, neugierig und abschätzig. Sie riskierten es nicht, sich an den Chef selbst zu wenden, aber sie achteten darauf, daß er ihren Spott mitbekam, redeten, wenn er ihnen den Rücken zukehrte oder wenn sie selbst sich schon abdrehten: Endlich bekommen wir einen blühenden Exerzierplatz, sagte einer, und ein anderer sagte: Gutes Material für Besenbinder, und ich hörte auch, wie einer sagte: Wirst sehen, bald werden hier die Jungbäume exerzieren. Ihr Kopfschütteln. Ihr besserwisserisches Grinsen. Dem Chef entging nichts, doch es schien ihn kaum zu berühren.
Einmal kam Lauritzen mit seinem Sohn herüber, er ging so selbstverständlich über unser Land, als gehörte es ihm, mit seinem Stock zeichnete er die Quartiereinteilung nach, er begutachtete unsere Beete, kratzte an den Absenkern und Abrissen herum, ab und zu hob er eine Handvoll Erde auf und blies in sie hinein, und während sein Sohn nur schweigend neben ihm herging, mußte er zu allem seinen Senf geben, fuchtelnd und unzufrieden. Na, Zeller, sagte er zur Begrüßung und sah sich spöttisch um, und da der Chef nicht aufgelegt war, mit ihm zu sprechen, wandte er sich an seinen Sohn und wollte von ihm
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