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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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der Chef manchmal zu mir: So, Bruno, und nun wollen wir eine Mütze voll Schlaf nehmen, und er hat sich ausgestreckt, wo wir gerade waren, auf der warmen Erde, im Gras, hat mir noch einmal zugeplinkert und war schon eingeschlafen. Was er mit einer Mütze voll Schlaf meinte, das hab ich damals nicht verstehen können, aber er sagte das so und nicht anders, und es kam mir nicht zu, ihm Fragen zu stellen, auch wenn er mehr als einmal feststellte: Wenn du etwas nicht verstehst, Bruno, dann frag, durch Fragen kannst du dir viel ersparen, manchmal retten sie dich sogar.
    Max, der kann fragen, daß einem ganz schwindlig wird, er brauchte mich nur einzuladen, ihn zu begleiten auf seinem Weg zur Gerichtslinde hinaus oder zum Hünengrab, dann machte ich mich schon immer auf einen Regen von Fragen gefaßt, und wenn ich schließlich nicht mehr mitkam, gab ich einfach alles zu, nur damit das Durcheinander in meinem Kopf aufhörte. Was der sich alles ausdenken konnte, früher, als er mich mithaben wollte auf seinen Wegen.
    Einmal, in einem Frühjahr, eine arme Sonne schien, da wollte er unbedingt einen Gang mit mir machen, obwohl ihm anzusehen war, wie sehr er fröstelte in seiner Unausgeschlafenheit; er müßte seine Gedanken auslüften, sagte er, und er nahm mich mit zur Holle und legte seinen Arm um meine Schulter. Da nur ich Gummistiefel trug, ging ich auf der schlechten Seite des Wegs, dort, wo Pfützen standen, wo der Schlamm quatschte und Wolken in den Lachen machte. Auf dem ganzen Weg zur Gerichtslinde hat er von einem Mann erzählt, der für sich lebte auf seinem unermeßlichen Besitz, viele Leute arbeiteten für ihn und erfüllten seine Wünsche, dennoch war er nicht glücklich, weil er sich zuviel sorgte; und weil er seinen Besitz jeden Tag überprüfen und verteidigen mußte, wurde er mißtrauisch gegen jedermann und brauchte Gewalt, um alles zusammenzuhalten und noch zu vermehren.
    Als dieser Mann einmal von seinem Pferd abgeworfen wurde, da lag er lange krank, und es pflegte ihn eine junge Frau, die jeden Morgen fröhlich war und von gleichbleibender Zufriedenheit, auch wenn sie ausgeschimpft und herumkommandiert wurde; ihr konnte nichts etwas anhaben. Nachdem der Mann endlich gesund geworden war, ließ er die Frau rufen, um sie extra zu belohnen, und er fragte sie, was sie brauche, am nötigsten brauche, und sie sagte: Nicht viel – alles, was ich brauche, kann ich auf meinen Daumennagel schreiben. So hat er die Belohnung eingespart, aber er konnte nicht aufhören, an die Antwort der jungen Frau zu denken, und oft, wenn er über seinen Besitzurkunden saß, hat er seinen Daumennagel betrachtet, hat ihn gedreht und betrachtet, bis er, versuchsweise und in kleiner Schrift, ein erstes Wort darauf schrieb und gleich erkannte, daß da noch viel Platz übrig war. Er war so erstaunt, daß er, auch wieder nur versuchsweise, nach und nach andere Worte aufschrieb, die Worte, die besagten, was einer am notwendigsten zum Leben braucht, nicht mehr und nicht weniger.
    Und eines Tages hat er ein paar Dinge in einen Schultersack gesteckt und ist weggegangen, er ging weit fort, in ein Niemandsland, da gab es keine Wege, nur Wald und einen ruhigen See gab es, und am Ufer des Sees hat er sich eine Hütte gebaut, und im Wald hat er ein Stück gerodet und ein kleines Feld angelegt; die Reusen, die ihm noch fehlten, hat er aus biegsamem Astwerk geflochten. Dort lebte er, und wenn er einmal, was sehr selten geschah, zu einem fernen Kaufmannsladen wandern mußte, dann achtete er darauf, daß er nur Waren einkaufte, deren Namen sich gleichzeitig auf einen Daumennagel schreiben ließen. Er hat die Tage nicht gezählt, was er im Winter entbehrte, das brachte ihm der Sommer, er stellte sich gut mit den Jahreszeiten und liebte seine Einsamkeit. Einem erfolglosen Jäger, der sich an den See verirrte, gab er zu essen und zu trinken, und als der Jäger wissen wollte, woher die Gelassenheit und die Ruhe und Zufriedenheit des Mannes kamen, da hat er gesagt: Prüfe, was du wirklich brauchst, und wenn du das, was du brauchst, auf einem Daumennagel aufzählen kannst, dann bist du auf der richtigen Spur.
    Auf dem ganzen Weg zur Gerichtslinde hat Max von diesem Mann erzählt, und auf dem Bänkchen, dem bemoosten, das vor der ausgehöhlten, mehrmals vom Blitz getroffenen Linde stand, da ging es los mit seinen Fragen, die er oft so schnell und erwartungsvoll stellte, daß ich schon denken mußte, er könne nicht genug hören und sei süchtig nach

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