Lenz, Siegfried
Antworten. Ob ich es auch so gemacht hätte wie jener Mann, wollte er wissen, und ich sagte: Ich weiß nicht; und ich sagte auch: Mit so einem unermeßlichen Besitz kann einer doch zufrieden sein, er braucht nur etwas zu wünschen, und schon steht es auf dem Tisch. Max schüttelte nur den Kopf und sagte: Aber er kommt nicht zu sich selbst, Bruno, der Besitz macht mißtrauisch und erbittert und hartherzig; zu sich selbst findet er erst, wenn er sich von all dem trennt, was er nicht nötig hat.
Ob ich denn auch einen solchen Besitz haben möchte, fragte er, und ich sagte: Nein. Siehst du, sagte er, und warum nicht? Weil ich dann viel Angst haben müßte, sagte ich. Richtig, Bruno, sagte er, und wovor? Aufzufallen, sagte ich, doch damit war er nicht zufrieden und sagte, was er wohl lieber von mir gehört hätte: Vor dem Verlust, Bruno, jeder Besitz weckt gleich die Angst, etwas zu verlieren. Und dann fragte er, warum so viele darauf aus sind, Besitz zu erwerben und zu häufen, und als ich sagte: Vielleicht, weil sie vorsorgen müssen, vielleicht, weil sie sich daran freuen, da schüttelte er wieder den Kopf und sagte: Dauer, Bruno, wer Besitz anhäuft, der will dauern, der will bleiben, der findet sich nicht damit ab, daß alles nur seine Zeit hat. Und er sagte auch: Wer haben will, der will erst einmal für sich haben. Zwischendurch bot er immer von seinen Gummibonbons an, und wenn ich mitunter schwieg, klopfte er mir auf die Schulter und beschwichtigte mich: Schon gut, Bruno, schon gut, aber dann hat er doch mit geschlossenen Augen weitergefragt, ob das nicht wahre Unabhängigkeit ist, wenn man nur soviel für sich braucht, wie auf einen Daumennagel geht? Was kann einer antworten auf solche Frage? Zum Schluß bleibt doch nichts anderes übrig, als daß man zustimmt, nur, damit alles aufhört.
Für alles, was ich ihm zeigte und sagte, hatte er kaum Interesse, und mitunter mußte ich staunen, wie wenig er Bescheid wußte; die Ringeltaube, die sich plötzlich in die Gerichtslinde setzte, kannte er nicht bei ihrem Namen, und wozu man das faulig schimmernde Holz brauchen kann, das sich im Innern des hohlen Stammes ablagert, hatte er noch nie gehört, noch nie. Ich war so entgeistert, daß ich ihm gern mehr abgefragt hätte, einfach um herauszubekommen, was er alles nicht wußte, aber seinem Gesicht konnte ich ansehen, daß er nachdachte und woanders war, deshalb war ich still.
Doch auf einmal ging es wieder los, auf einmal wollte er von mir wissen, was ich besitze, ich sollte ihm alles aufzählen, und so gut es mir einfiel, habe ich auch alles genannt, die Jacke und den Regenmantel, die Hemden, die Rohlederstiefel, die Arbeitshose und das Gestell und das Geschirr; er nickte nur, als ob er jedes Teil registrierte, und ich weiß noch: bis auf den Bernsteintropfen, den Ina mir schenkte, habe ich alles erwähnt. Gut, Bruno, sagte er, und wollte dann wissen, wieviel ich entbehrte, und ich sagte: Wenn ich etwas brauche, bekomm ich’s vom Chef. Er war wohl nicht zufrieden mit meiner Antwort, er dachte ein wenig nach und fragte dann: Aber frei, du fühlst dich doch unbelastet und frei? Und ich sagte: Wenn der Chef mich nur bei sich behält, dann fehlt mir nichts. Zufrieden war er nur, als ich ihm erzählte, daß ich mein Taschengeld, das ich manchmal vom Chef, manchmal von Dorothea bekam, auf zwei Verstecke verteilte – wo die Verstecke lagen, das interessierte ihn nicht, obwohl ich es Max gesagt hätte, ihm, der immer gut zu mir gewesen ist.
Und dann erzählte er von einem Mann, der herausgefunden hat, daß Eigentum Diebstahl ist, weil doch das, was die Erde bietet, eigentlich allen gehört oder gehören müßte; dazu konnte ich nichts sagen, ich konnte ihm nicht bestätigen, daß es so ist, weil ich gleich an den Chef denken mußte, der das vernarbte Land, das Soldatenland, nur erworben hatte, um es zu verwandeln und hier seine Kulturen anzulegen, von denen nicht nur wir leben, sondern viele in Hollenhusen. Max hatte noch mehr Fragen zu stellen, er merkte mitunter gar nicht, daß ich still blieb neben ihm, doch wenn mein Schweigen ihm zu lange dauerte, dann hat er sich selbst Antworten gegeben, mit stockender Stimme, und als wir zu den Wiesen gingen und am Rand der Wiesen in Richtung Dänenwäldchen, da fragte er immer noch, warum es so ist, daß der, der hat, unbedingt mehr haben muß.
Die Kiebitze waren schon da, sie schlenkerten über die Wiesen, winkelten scharf ab und setzten den schlenkrigen Flug fort, bis wir ihren
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