Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
Vom Netzwerk:
dem Bahnsteig, läßt sich da vom Pastor grüßen und ansprechen. Nur ruhig, Elef, mach, was er dir gesagt hat.
    Eilig stopft er alles in seine Brieftasche, da sind schon Leute auf dem Bahnsteig, gleich wird Zug kommen, er muß hinaus, um Fraus Schwester und Fraus Vater zu begrüßen, ja, ja, du mußt gehen, ist schon gut. Er verbeugt sich schnell und läuft zur Tür, was ist denn, was hat er vergessen, er kommt noch einmal zurück, also, Herr Bruno: Am Sonntag kleines Fest, große Freude, wir erwarten Herr Bruno gegen Abend, aber bestimmt, und nun läuft er schon wieder und winkt noch einmal von der Tür, er in seinen Röhrenhosen.
    Das hab ich mir oft gewünscht. Hoffentlich passiert nichts bis zum Sonntag, man weiß nicht, was ihnen bis dahin einfallen kann in der Festung, sie haben das Entmündigungsverfahren gemeinsam eingeleitet, und alle haben unterschrieben. Hoffentlich werde ich auch nicht krank, denn so ist es schon manchmal gekommen: wenn ich mich auf etwas sehr gefreut habe, bin ich im letzten Augenblick krank geworden, einen Tag, bevor der Zirkus nach Hollenhusen kam, einen Tag, bevor der Chef das große Johannisfeuer abbrennen wollte – die Krämpfe und das Fieber haben immer bis zum letzten Augenblick gewartet und dann verhindert, daß ich dabeisein konnte.
    Was macht Max auf dem Bahnsteig? Wen will er denn abholen, und da geht auch Joachim, der seinen Autoschlüssel wie einen Propeller kreisen läßt; wenn sie für den kurzen Weg das Auto nehmen, wird es wohl ein besonderer Gast sein, der mit dem Zug aus Schleswig kommt. Sie dürfen mich hier nicht sehen, jetzt nicht; wieviel sie zu tun haben, all die Grüße zu erwidern, und wie unterschiedlich sie zurückgrüßen, jetzt ein angewinkelter Arm, jetzt eine steife Verbeugung, ein Zwinkern jetzt, und das karge Nicken, das gilt wohl Duus, der sich strafft und die Hand an die Mütze hebt. Den ganzen Bahnsteig schlendern sie hinab, die aus der Festung, und mich würde es nicht wundern, wenn auch die Laternen grüßten und der Signalturm und das Ortsschild »Hollenhusen«. Palme, kaum erscheint Palme mit Kelle und roter Mütze – der alte Bahnhofsvorsteher Kraske hat die Züge immer nur mit erhobener Hand und Trillerpfeife verabschiedet –, da kündigt sich auch schon der Zug an, ich spür schon, wie es zittert, seh schon, wie es in Elefs Bierglas, das er nicht leergetrunken hat, leise vibriert, und nun verdunkelt es sich auch schon, bremst und quietscht. Hollenhusen, hier Hollenhusen: Palme ruft das so aus, daß es halb wie Glückwunsch klingt, halb wie Warnung.
    Ihn kenne ich nicht, ihn hab ich noch nie gesehen, diesen dunkelgekleideten Mann, den Max und Joachim freundlich begrüßen und der selbst nur süßsauer lächelt und dabei große Schneidezähne zeigt, ein feierlicher Hase, der es wohl gewohnt ist, abgeholt zu werden, seine Reisetasche trägt er vorsichtig. Der Vormund, vielleicht ist das der Vormund des Chefs, den das Gericht geschickt hat, vielleicht soll er den Chef unter die Lupe nehmen und sich mit allem bekannt machen, wofür er vorläufig die Verantwortung trägt, es kann aber auch ein Arzt sein, der in seiner Reisetasche alles gegen Schmerzen hat; obwohl Joachim zweimal danach greift, läßt sich der Fremde die Reisetasche nicht abnehmen. Er geht in der Mitte, wie abgesichert, vor unserem Ortsschild stutzt er und guckt ein bißchen erschrocken, als ob er sich im Stationsnamen geirrt hätte, doch Max erklärt ihm etwas, und er lächelt schon wieder und läßt sich zur Sperre führen und weiter zum Bahnhofsplatz.
    Da sind sie, das Kopftuch und die beiden Ballonmützen, sie haben sich gefunden, Elef und Fraus Schwester und Fraus Vater, fröhlich schleppen sie Körbe und Beutel und verschnürte Kartons zum Ausgang, natürlich muß Elef zu mir hereinlinsen, mir ein Zeichen geben, ein Werfen des Kopfes soll zeigen, wie er sich freut. Wenn doch erst Sonntag wäre.
    Jetzt hebt Palme seine Kelle, die Lokomotive zieht an, ein Wölkchen umhüllt den Bahnhofsvorsteher, der aufzuschweben scheint – nun aber weg hier, es wird höchste Zeit, einfach quer über die Gleise zu unserer Versandrampe, laßt ihn rufen, laßt ihn hinterherdrohen, bis hierher ist mir noch keiner nachgerannt, und wenn wir uns das nächste Mal begegnen, ist alles vergessen.
    Siehst du, Bruno, diese Eile war gar nicht nötig, Ewaldsen schläft immer noch im Schatten der Jungfichten; ich werde ihn jedenfalls nicht anstupsen oder wachkitzeln, ich nicht.
    In den ersten Jahren sagte

Weitere Kostenlose Bücher