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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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immer noch unter den Jungfichten, schläft, obwohl da einer bei ihm steht und auf ihn herabsieht, wenn das man nicht Plumbeck ist, Pastor Plumbeck, breit genug ist er, auch silberhaarig und stiernackig genug, und der schwarze Hut könnte gut sein Hut sein. Er stößt unsern Vorarbeiter mit dem Fuß an, er bückt sich und rüttelt ein bißchen an ihm, und jetzt stützt Ewaldsen sich auf und guckt bedeppert, wie nur er gucken kann, schüttelt den Schlaf ab und kommt hoch und scheint sich bei Pastor Plumbeck zu entschuldigen. Da möchte einer nicht viel reden, wenn er zu dieser Zeit geweckt wird auf seiner Arbeitsstelle; Ewaldsen deutet zu mir herüber, will gehen, muß gehen, doch er soll wohl noch eine Auskunft geben, vermutlich über den Chef, denn Pastor Plumbeck steht schon auf dem Hauptweg, der zur Festung führt, und zeigt mit dem Daumen über seine Schulter hinweg auf das große Haus. Ewaldsen wird wohl sagen, was er immer sagt, sobald einer Genaues von ihm wissen will: Gehört hab ich nix, und gesehen schon gar nix. Wenn ich nur wüßte, warum Pastor Plumbeck diesmal den Chef sprechen will, er, der sonst nur gekommen ist, um Spenden abzuholen für ein neues Glockenhaus oder für die Reparatur des Gestühls; aber vielleicht haben ihn ja auch die andern gerufen, die seine Meinung hören wollen zur eingeleiteten Entmündigung. Er geht zur Festung.
    Schmoren, wie oft er uns im Konfirmandenunterricht gedroht hat, daß wir später einmal schmoren würden, wenn wir die zehn Gebote nicht achteten, wenn wir sündigten im Kleinen und im Großen. Stampfschritte hat er bei seinen Drohungen gemacht, und seine grauen, tiefliegenden Augen suchten mich, zuletzt immer mich – ich weiß auch nicht, warum; ich weiß nur, daß er mich aufs Korn nahm, wenn er von den Qualen sprach, die auf uns warteten. Gott hat euch die Zehn Gebote als Spiegel gegeben, sagte er, und wenn ihr wissen wollt, wie sündig ihr seid, dann seht nur hinein; das hat er gesagt und gleich die Strafen aufgezählt, mit denen jeder rechnen muß, der ein Gebot übertritt. Eine Zeitlang hab ich mich so gefürchtet, daß ich an meiner Tür auf dem Kollerhof eine zweite Haspel anbrachte und ein drehbares Riegelholz, die Sünde sollte nicht hineinfinden zu mir, auch das Dachfenster hielt ich geschlossen, nur, damit die Sünde mich nicht überraschen konnte, all das Böse, das uns dauernd hinunterzieht, wie er sagte.
    Einmal sollte ich das Gleichnis vom großen Gastmahl erzählen, die Geschichte von dem wohlhabenden Mann, der ein großes Essen gab und sehr zornig war, weil die, die er eingeladen hatte, im letzten Augenblick absagten; doch er besänftigte seinen Zorn und schickte seinen Knecht aus, all die Krüppel, die Blinden und Lahmen von der Straße zu holen, und mit denen schmauste der Mann sämtliche Töpfe und Pfannen und Bleche leer, und zum Schluß sagte er, daß er die anderen, die ihm abgesagt hatten, nie mehr einladen werde. Pastor Plumbeck saß dicht vor mir mit seinem blauroten Gesicht und hörte zu und war zufrieden, doch dann forderte er mich auf, das Gleichnis auszulegen; er behauptete, daß Jesus ein großer Geschichtenerzähler war und daß er mit jeder Geschichte eine verborgene Wahrheit traf; die sollte ich mal hervorheben, aber kurz und fein.
    Mir fielen immer nur die Ausreden ein, mit denen die Eingeladenen dem großen Gastmahl fernblieben – einer hatte Ochsen gekauft und mußte sich um sie kümmern; ein anderer hatte Land gekauft und mußte es besichtigen; und wieder ein anderer hatte geheiratet und mußte bei seiner Frau bleiben; und weil die Ausreden nicht viel wert waren, konnte ich nichts anderes glauben, als daß die Eingeladenen nicht allzuviel von dem Essen hielten, das der wohlhabende Mann ihnen vorsetzen wollte, vielleicht war es schwer verdaulich oder zu fett oder zu scharf, jedenfalls mußten sie wohl ihre Erfahrungen gemacht haben. Mit dieser Auslegung war Pastor Plumbeck nicht einverstanden, er sah mich forschend an, in seinem Gesicht regte es sich, ein gewisser Ausdruck entstand, ein Ausdruck von Verdacht, er verdächtigte mich, nicht das gesagt zu haben, was ich wirklich glaubte. Die Sünde, sagte er, du weißt gut genug, daß es hier um Sünde geht und nicht ums Essen; da hab ich noch einmal nachgedacht, aber mir ist nicht aufgegangen, was er meinte, ich entdeckte die Sünde nicht, und nach der Stunde hielt er mich zurück und schlug Lukas Vierzehn auf und befahl: Lies, bis du es begreifst; und das war schon alles.
    Allein in

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