Lenz, Siegfried
gefehlt, und vom Birnenkompott wäre nichts nachgeblieben für die andern, mit kleinem Schreckensschrei trug Dorothea die Schüssel fort in die Speisekammer, auch Blutwurst und Käse brachte sie in Sicherheit, nur das Brot, das sie für diesen Tag selbst gebacken hatte, blieb vor mir stehen, und ich brockte davon so viel in mich hinein, daß ich ganz schwer wurde und kaum hochkam, als endlich Joachim und Ina heimkehrten und bald nach ihnen der Chef.
Ina befühlte gleich meinen Verband und setzte sich zu mir und erinnerte mich daran, wie man Schmerzen wegdenken kann, während Joachim auf Schritt und Tritt Dorothea folgte, er half ihr, aufzutragen, er griff immer wieder nach ihrer Hand und wollte bei jeder Gelegenheit wissen, ob sie mit ihm zufrieden gewesen sei. Einmal, als sie ihm schnell über die Wange strich, glitt ein Schimmer von Freude über sein Gesicht, und er mußte uns erzählen, wie sich die Leute um seine Lose gebalgt hatten, einige hatten verlangt, daß ein Tag der offenen Tür regelmäßig stattfinden sollte, vielleicht zweimal im Jahr. Wie der seine Mutter ansehen konnte, so erbötig, ständig darauf aus, einen Blick aufzufangen, nichts bedeutete ihm mehr, als von ihr belobigt zu werden.
Dem Chef war nicht anzusehen, ob er zufrieden oder unzufrieden war, zumindest nicht, als er hereinkam und zu seinem Wandschrank ging, den Ina blauweiß gestrichen und mit einer Pfingstrose verziert hatte. Er schloß das Schränkchen auf, goß sich aus seiner flachen Flasche ein und setzte sich an den Tisch, gegenüber von Dorothea; wir waren ganz still und sahen nur zu, wie er sie anblickte, wir beobachteten, wie ein Lächeln entstand, um die Augen zuerst, dann in den beweglichen Gesichtsfalten und schließlich um die sich öffnenden Lippen, und vorsichtig, um ja nichts zu verschütten, hob er das Glas gegen Dorothea und sagte: Zum nächsten Geburtstag, Dotti, da hab ich nur einen Wunsch: daß du noch einmal auftrittst – für mich allein; und dann trank er und beugte sich über den Tisch und küßte Dorothea auf die Stirn.
Beim Essen, da fand er für jeden ein gutes Wort, auch für Ewaldsen und die beiden Gehilfen, denen einige Blumenschalen so gut gelungen waren, daß sie gleich Bestellungen darauf erhielten, aber das war man Kleinvieh, wie er sagte, trug gerade die Unkosten; was zählte – und worauf er sich noch ein Glas genehmigte –, das war die Lieferung, die er zum Schluß abgesprochen hatte, fast schon im Weggehen, eine Lieferung über sechstausend Jungpflanzen der Schmucktanne. Plötzlich hat der Chef mir einen Arm um die Schulter gelegt und hat mich grüßen lassen, er sagte: Ich soll dich grüßen, Bruno, und dir ausrichten, daß man eine Kopulation mit Gegenzungen nicht besser machen kann, und der Mann, der dir das ausrichten läßt, versteht eine Menge davon. Da hab ich gefragt, ob er vielleicht eine grüne Uniform trug und einen tolpatschigen Jungen bei sich hatte, und der Chef hat genickt und leise hinzugefügt, daß er es war, der Forstmeister Dähnhardt, der die Jungpflanzen bei uns bestellt hat.
Weil der Chef noch viel aufschreiben und sich mit Dorothea besprechen mußte, ließen wir sie allein. Joachim und Ina sind gemeinsam nach Hollenhusen gegangen, ich hatte keine Lust dazu, ich ging in meine Schlafkammer hinauf, und ich sah gleich, daß da etwas auf dem Kopfkissen lag, etwas Handliches, Zerpliesertes, das braune Hexenbuch, das Dorothea selbst vollgeschrieben hatte. Ich war so verwirrt, daß ich es gar nicht aufzuschlagen wagte, und ich hab das Büchlein fest zusammengedrückt und bin immer nur hin- und hergegangen, aber dann habe ich es doch geöffnet, da stand: Für Bruno zur Erinnerung an unseren Tag der offenen Tür.
Später lauschte ich nach unten, und zum ersten Mal konnte ich nicht verstehen, was sie miteinander besprachen, ich bekam nur mit, daß sie mit ihren harten, dicken Gläsern anstießen, vielleicht kam es daher, daß ich das braune Buch immer festhalten mußte und dabei andere Stimmen hörte, Angstmacherstimmen und manchmal Gelächter.
Wenn ich nur wüßte, wo Bruno das Büchlein verloren hat; ich hatte bereits das meiste auswendig gelernt, als es auf einmal weg war, nicht unterm Kopfkissen, nicht im Geheimversteck hinter der breiten Fußleiste, es verschwand wie so vieles andere auf Nimmerwiedersehen. Kann sein, daß viele Dinge sich bei mir einfach nicht wohlfühlen, Magda hat es schon einmal gesagt – damals, als ich ihr Etui mit Schere und Nagelreiniger nach kaum
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