Lenz, Siegfried
soll es wissen: Trauriger ist der Chef geworden, sage ich, trauriger und vielleicht auch verbittert, so ausgeglichen wie am Anfang ist er jedenfalls nicht mehr; und ich sage auch: Kann sein, daß er sich allein gelassen fühlt. Er überlegt, scheint das wohl zu verarbeiten, nickt, als wäre er einverstanden mit meiner Antwort, und sagt leiser als sonst: Gründer wie Herr Zeller, Männer mit solch einer Lebensleistung sind Einzelgänger, müssen einzelgängerisch werden nach gewisser Zeit, sie folgen darin nur einem Gesetz. Jetzt überlegt er wieder, netzt die großen Schneidezähne mit der Zunge und umspannt die Sessellehnen mit solcher Härte, daß die Haut über den Knöcheln fahl wird. Sein Ernst auf einmal, sein gepreßter Atem.
Könnte es sein, Herr Messmer, daß eine Krankheit Herrn Zeller verändert hat, ich will sagen: hat er Ihnen gegenüber in letzter Zeit über Schmerzen geklagt? Oder hat er seltsam reagiert, zum Beispiel Entscheidungen getroffen, die Sie nicht verstehen konnten?
Max hat gesagt, als er hier war: Der Chef hat viel für uns getan, nun müssen wir etwas für ihn tun, und er hat auch gesagt: Du gehörst doch zu uns, Bruno.
Haben Sie vielleicht Anzeichen von Schwermut bei Herrn Zeller entdeckt, oder von Verwirrung, oder von Geistesschwäche? Am meisten Trauer, sage ich, und vielleicht auch noch Großzügigkeit und Nachsicht; in der letzten Zeit, da ließ er mir mehr durchgehen als früher; als er dazukam, wie ich die Nadeln aus den jungen Fichten riß und aussaugte, da schüttelte er nur den Kopf und ging schweigend weg. In der letzten Zeit hat der Chef weniger gesprochen als sonst, das hat er, sage ich, und ich kann ihm ansehen, wie hellhörig er wird, gleich wird er einhaken, in diese Kerbe hauen, und jetzt fragt er: Heißt das, daß er Sie nicht mehr in seine Pläne eingeweiht hat wie früher, daß er seine größeren Vorhaben für sich behielt? Wenn ich nur wüßte, worauf er hinauswill, warum er sich in all das einmischt, ich muß etwas sagen, damit er zufrieden ist und weggeht. Also das Wichtigste, das hat der Chef immer für sich behalten, das hat er auf seine Art bedacht und erst ausgebreitet, wenn alles reif war, sage ich. Warum er nun lächeln muß, das weiß wohl nur er allein, hoffentlich ist er jetzt fertig, es drückt ganz schön auf die Schläfen, am liebsten möchte ich ein paarmal mit der Stirn gegen den Türpfosten schlagen, aber er vertritt die Interessen der Familie Zeller, und da muß ich wohl aushalten. Und Ihre eigenen Pläne, fragt er aufgeräumt, darf man etwas über Ihre eigenen Pläne erfahren, Herr Messmer? Veränderungen haben Sie wohl nicht beabsichtigt? Bleiben, sage ich schnell, ich möchte da bleiben, wo der Chef ist.
Wie auf einmal beim Aufstehen seine Freundlichkeit verschwindet, wie forschend er mich ansieht und sich plötzlich abwendet und durch das Fenster auf die Kulturen hinausblickt, wobei er den Hut auf dem Rücken hält und ihn wie geübt zwischen den Fingern dreht, wie ausdauernd der sich bedenken kann, ich kann ihn jetzt nicht stören, doch, jetzt muß ich fragen, wie es dem Chef geht, und ich frage gegen seinen Rücken: Der Chef, er hat sich längere Zeit hier nicht blicken lassen – kommt er bald wieder? Er wendet nicht einmal sein Gesicht, vielleicht hat er mich nicht verstanden, ich kann ja gleich mehr fragen, zum Beispiel, ob es stimmt mit dem Antrag auf Entmündigung, das könnte ich nun gut fragen, doch jetzt strafft er sich und will etwas loswerden. Ist Ihnen bekannt, Herr Messmer, daß Herr Zeller vor kurzem bei seinem Schleswiger Notar einen Schenkungsvertrag unterschrieben hat? Magda hat recht gehabt, sie wußte es, sie hat recht gehabt. Und ist Ihnen bekannt, Herr Messmer, daß der Vertrag Sie bedenkt mit einem Drittel des Landes und mit einem angemessenen Teil der Einrichtungen? Der Schenkungsvertrag tritt in Kraft im Falle des Todes von Herrn Zeller.
Nein, das ist nicht wahr, nein, das sagt er nur so, er will bloß sehen, wie ich das aufnehme, damit fertig werde, einen Jux will er sich mit mir machen, um mich zu prüfen, aber warum, weshalb hat er es auf mich abgesehen, er, den ich nicht kenne, und der die Interessen der Familie Zeller vertritt?
Er dreht sich um zu mir, er wartet unwillig auf etwas, seine Augenlider sind zur Hälfte geschlossen, und um seinen Mund zuckt es. Sie werden verstehen, Herr Messmer, daß die Familie Zeller nicht gewillt ist, sich mit diesem Vertrag abzufinden.
Was für ein Kuddelmuddel, das kann doch
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