Lenz, Siegfried
rasiert sein. Wenn ich mich aus dem Schaum angucke, dann sehe ich gleich, was gewiß kein anderer sieht: mein rechtes Auge ist kleiner als das linke, es ist nicht nur ein bißchen heruntergerutscht nach der Operation, es ist auch kleiner; das kommt vermutlich von der anderen Haut, die immer so straff ist, so blank. Auf der Narbe wächst nichts mehr, die ist nur glatt und blaurot und braucht nicht rasiert zu werden, aber auf dem erhöhten Rand kommen immer einzelne kräftige Haare, hart wie Borsten, die müssen weg. Leckauge, hat Joachim einmal gesagt, und er hat auch gesagt: Du Triefauge; es ist das rechte Auge, das immer leckt und Wasser abgibt, so mancher hat das schon für Tränen gehalten, aber geweint hab ich seit langem nicht mehr. Die Pickel auf der Stirn kommen nicht wieder, die Salbe hat sie weggefressen, Dorotheas gute Salbe, die ich am liebsten jeden Tag aufschmieren möchte, weil sie so kühlt. Dorothea meinte, wer eine so schöne, gewölbte Stirn hat wie ich, der muß etwas tun, damit sie rein bleibt. Meine Zähne, was die mich schon um meine Zähne beneidet haben, sogar der Chef wollte sie mir abkaufen, damals, als er immer Würfelzucker mit Rum tränkte und die Stücke auf seine schmerzenden Backenzähne legte.
Heute muß ich mich auch besser anziehen, nicht das karierte Hemd und die graue Hose, ich werde zur grauen Hose das helle Hemd tragen, dazu die Windjacke, auch wenn der Reißverschluß nicht mehr in Ordnung ist, ich werde die Windjacke offen lassen, so wie Joachim seine Windjacken offen trägt, und ich werde die Schwunghippe einstecken, mein Lieblingsmesser, das ich mir aus der ausgedienten Garnitur aussuchen durfte. Auch wenn es sich bei uns kaum lohnt, die Schuhe zu putzen, einmal könnte ich sie einreiben und ein bißchen wienern, die geschonten Stiefel, die auch dann keine weißen Kappen kriegen, wenn ich bei Regen im feuchten Land gewesen bin. Zum Friseur zu gehen, dazu ist es wohl zu spät, vielleicht kann ich mir die Zipfel selbst abschneiden, das, was über die Ohren gewachsen ist; Magda will mir nicht glauben, daß mein Haar einmal maisblond war, die denkt, es ist schon immer so stumpf und ohne richtige Farbe gewesen. Wie bloß das viele Licht ins Wasser kommt, sogar die braune Schüssel hellt sich auf, wenn ich den Krug da hineinkippe.
Hoffentlich wird es nicht Joachim allein sein, dem ich werde antworten müssen, hoffentlich werden auch Max und Dorothea mit mir sprechen, mit ihnen geht es leichter, da kommen die Gedanken wie von selbst, aber er, er braucht nur auf seine Art den Kopf zu schütteln und sich mit einem Blick umzusehn, als ob er nach Hilfe sucht, dann versteift sich schon alles in mir, und mein Herz hämmert bis zum Hals, und ich merke, wie etwas gekappt wird und sich schließt. Und wenn ich dann vielleicht sehe, wie er sich wieder einmal die Hände wäscht – man kann schon gar nicht zählen, wie oft er das am Tag tut, auch draußen in den Quartieren, in jeder Regentonne, unter jedem Wasserhahn –, dann habe ich für eine Weile überhaupt keine Wörter mehr.
Wenn einer will, daß ich von hier fort muß, dann ist es bestimmt Joachim, von Anfang an war er dagegen, daß der Chef mich neben sich haben wollte bei allem, was er tat, und daß er mich einweihte in seine Pläne und mir manches Geheimnis anvertraute. Und er ließ mich von Anfang an spüren, wieviel er mir hier zu sagen hat, er mit seinen lederbesetzten Hosen und den langen Schals und den weichen Reitstiefeln, die er so oft trug. Es nützte nichts, wenn ich ihm sagte, daß der Chef mir aufgetragen hatte, bis zum Abend die Saat abzudecken, er verlangte einfach von mir, daß ich zur Bahnhofsgaststätte nach Hollenhusen lief, um für ihn und die beiden hochgewachsenen Mädchen vom Erlenhof drei Flaschen Limonade zu holen; er verlangte es einfach. Und wenn er fror und seine Jacke brauchte, schickte er mich zum Kollerhof, ich mußte seine Briefe zur Post bringen, ich mußte zuhören, wenn er auf seiner Klarinette übte, Sträuße mußte ich für ihn pflücken und binden, seine Jacken abbürsten, und einmal, als er und sein Freund und die Mädchen vom Erlenhof im Großen Teich baden wollten, ließ er mich die Wolldecke und den Korb hinterhertragen und die Decke ausbreiten. Der Chef wäre bestimmt nicht damit einverstanden gewesen, doch ich sagte nichts, ich beschwerte mich nie bei ihm über das, was Joachim von mir verlangte.
Wie verblüfft er war, als ich an einem Abend nein sagte, wie fassungslos er mich ansah,
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