Lenz, Siegfried
als ich mich nicht rührte, nicht die Zügel seines Pferdes nahm, es nicht festband an der Buche, wie er es wollte. Sie waren auf mich zugaloppiert, er und die beiden Mädchen, und zuerst dachte ich, sie wollten über die geschichtete Mauer setzen, mich nur ein wenig erschrecken und dann darüber wegspringen, was sie schon manchmal gemacht hatten; aber kurz vor der Mauer hielten sie und stiegen ab, und Joachim streckte mir die Zügel hin und sagte: Bind es fest, Bruno. Ich sah in das aufgerissene Auge des Pferdes und weigerte mich, unwillkürlich trat ich etwas zurück, in die Sicherheit der Mauer, um mich, wenn es sein sollte, in den toten Winkel zu werfen und mich an die Erde zu schmiegen. Du sollst es festbinden, sagte Joachim drohend, und weil ich abermals zurückwich, kam er mir nach, langsam, entschlossen, bis die Mauer mich nicht weiterließ und ich mich mit beiden Händen nach hinten abstützte. Die Mädchen sahen gespannt zu, sie hielten ihre Pferde an den Zügeln und schwiegen. Zum letzten Mal, sagte Joachim, bind es fest, und als ich nur den Kopf schüttelte, holte er zu einem Schlag aus, nicht einmal schnell, sondern ruhig und berechnet, er holte aus und besann sich und ließ die Hand plötzlich sinken, fast schon im Schlag. Dann sagte er: Wir sprechen uns noch, und nach einer Aufforderung an die Mädchen saßen sie auf und ritten zu den Wiesen hinunter.
Nicht mir allein, auch den andern glaubte er Anweisungen geben zu dürfen, selbst Ewaldsen wollte er einmal beibringen, wie oft er die Koniferen in unseren Kulturkästen wässern sollte. Ich weiß nicht, warum Dorothea ihn immer in Schutz nahm und für jede Kleinigkeit ausdauernd lobte, er brauchte nur mal den Flur auf dem Kollerhof ausgefegt zu haben, dann wurde er schon einen ganzen Abend lang gelobt, und wenn er es fertigbrachte, etwas aus Hollenhusen mitzubringen, dann fragte Dorothea gleich besorgt, ob es nicht für ihn zu schwer gewesen sei, die Brote, die Nägel, die Batterien zu tragen. Das Gösselchen, unser Gösselchen, das bereits zu leiden begann, wenn da ein Fleck auf seinem Hemd war oder auf seiner Hose – so rein mußte alles sein, so adrett. Wenn wir uns mal verspätet hätten, der Chef oder ich, dann hätte Dorothea bestimmt einschlafen können; nicht bei Joachim: bevor sie sich hinlegte, mußte er vom Erlenhof zurück sein, auch wenn es noch so spät wurde. An der Holle, in einem Sommer, sie hatten sich untergehakt und gingen an der Holle entlang; hin und wieder warfen sie etwas hinein und sahen zu, wie es wegtrieb, dann gingen sie Arm in Arm weiter, gerade so, als wären sie verheiratet.
Woher er den Revolver hatte, das hab ich nie erfahren, und ich wußte auch nicht, wo er ihn aufbewahrte; er zeigte ihn mir am Großen Teich, einen kleinen Revolver, er gab ihn mir und forderte mich auf, einmal zu schießen, doch ich schaffte es nicht – obwohl die Kammern gefüllt waren, löste sich kein Schuß. Darauf machte er es mir vor, er schoß auf ein Teichrosenblatt und auf ein schwimmendes Stück Holz, und er traf beide Male; dann hat er mir den Revolver noch einmal gegeben, ich hab zu früh abgedrückt, die Kugel fuhr in die Erde, und Joachim hat den Kopf geschüttelt und gesagt: Gib ihn bloß wieder her! Bevor er ihn einsteckte, hat er ihn sorgfältig geputzt.
Unangenehm wurde es immer, wenn er mit seinen Listen ankam, auch andere machten sich auf was gefaßt, sobald er den Pappdeckel öffnete und zu fragen und zu vergleichen begann, was in seinen Listen eingetragen war, oder wenn er etwas haargenau wissen wollte, das er ausdruckslos in seine Listen hineinschrieb. Der Chef hatte das nie gemacht, und gewiß war auch er es nicht, der Joachim empfohlen hatte, alles aufzuschreiben, Zahlen und Stunden und verbliebene Bestände. Der Chef hatte aber auch nichts dagegen, daß Joachim herumging mit seinen alleswissenden Listen, bei deren Anblick man schon ein schlechtes Gewissen bekam; er hatte ihn schließlich lange genug neben sich sitzen lassen, an diesem dunklen Kartentisch, den er sich eigens aus Schleswig hatte kommen lassen und der bald auch nicht mehr ausreichte, um alle Bücher, Ordner und Papiere zu tragen. Zu der Zeit, als der Chef noch das meiste allein machte, da waren Bestellbogen an die Wand gepinnt, Rechnungen waren bündelweise aufgespießt, rund um den Tisch lagen geklammerte oder mit sauberen Steinen beschwerte Geschäftspapiere auf dem Fußboden; an einer gespannten Schnur, an einem hängenden Metallring brachten sich ihm
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