Lenz, Siegfried
auffiel unter den vielen ehemaligen Soldaten, er stand vor dir mit seinem Lächeln und seiner Überlegenheit, und du lächeltest verlegen zurück: von den gestapelten Bierfässern aus hab ich’s gesehen.
Wie dann der Weißhaarige aufstand und zu sprechen begann, alle gingen auf ihre Plätze, und er sprach mit gesenktem Blick, es war kein Wort zu verstehen, obwohl ich ganz nah an das Fenster heranrückte, und mitten in seiner Rede das wütende Hundegebell – der große, schwarze Hund hatte mich entdeckt, er versuchte, auf den Stapel der Fässer hinaufzukommen, sprang und fiel herunter, sprang und fiel noch einmal herunter, was seine Wut nur erhöhte, seine jaulende Wut. Ich hatte nichts, das ich ihm hinwerfen, nichts, womit ich ihn vertreiben konnte, in meiner Angst legte ich mich flach auf die Fässer, linste über den Rand hinweg, weil ich ihn im Auge behalten mußte. Das Brennen auf einmal, diese sengende Feuchtigkeit, als der große, schwarze Hund sich an der Hauswand aufrichtete und mit den Vorderpfoten fast das Sims erreichte und dabei bellte und schnappte, daß das harte Klappen seiner Kiefer zu hören war. Ich wollte schon ans Fenster klopfen, sie hätten mir bestimmt geöffnet, die ehemaligen Soldaten, sie hätten mich hereingelassen, doch da fiel plötzlich ein Lichtschein aus dem Kücheneingang, und eine weiße Gestalt trat heraus und rief: Asko und noch einmal Asko, und weil der Hund nicht folgte, bewegte sich die Gestalt über den Hinterhof, ein Mädchen in weißem Zeug, mit weißer Haube. Sie sah sich nur flüchtig um, sie packte den Hund am Halsband und schlug ihm auf die Schnauze, und ich konnte hören, wie sie sagte: Immer so’n Krach machen, und nur wegen die Katzen. Dann hat sie ihn eingesperrt.
Ich lag und wagte nicht, mich zu rühren, bis auf einmal Musik aus dem Saal kam, zwei Ziehharmonikaspieler, schwarze Hosen, leuchtende Seidenhemden, standen auf einem niedrigen Podest und spielten und sahen dabei nur sich an, aufmunternd, gutgelaunt. Und dann tanzten sie im Saal, und am schönsten tanzte der Einarmige. Ich hab nur ein paarmal getanzt, mit Dorothea damals, als wir die Festung bezogen und einweihten, und noch einmal mit ihr, als Tauffest bei uns war, aber ich konnte nie zu Ende tanzen, weil ich bald schwindlig wurde und hinfiel; ich brauch mich bloß zur Musik zu drehen, dann werde ich auch schon schwindlig, und ich fall auch schon hin. Zusehen, ich kann immer bloß zusehen, wenn sie tanzen, aber das auch nicht zu lange, nach einer Weile muß ich mich abwenden, selbst als Ina getanzt hat, mußte Bruno sich abwenden.
Ach, Ina; wie du mit dem schwarzen Tablett am Rand der Tanzfläche standest und überlegtest, wie du durchkommen könntest zwischen den tanzenden Paaren, und wie er auf einmal bei dir war, dir das Tablett abnahm und es sicher zum Tisch brachte, es absetzte und einfach deine Hand ergriff und dich zur Tanzfläche zog, ohne daß du dich sperrtest. Er hat dich nicht an sich gezogen und umklammert, so, wie es manche der ehemaligen Soldaten mit ihren Frauen machten, er hielt dich ganz locker und ein bißchen von sich weg, du legtest ihm eine Hand auf die Schulter, eure Blicke verfingen sich, und dann ging es so leicht, alle Schwere war fort, es war gar nicht mehr zu erkennen, was euch bewegte und trug, denn alles ging bei euch in Bewegung auf, besonders, als du dich ganz weit zurückbogst und nur noch schwebtest. Nicht nur ich, auch die anderen sahen euch zu.
Das Ende eures Tanzes hab ich nicht gesehn, ich konnte erst wieder hingucken, als sie klatschten und einen zweiten Tanz verlangten, doch er lächelte und brachte dich zu deinem Tablett zurück, wo schon der Schaum auf den Gläsern starb; dort verbeugte er sich vor dir und ließ deine Hand los, die er die ganze Zeit gehalten hatte: Guntram Glaser, der plötzlich da war, der für länger verschwand und unvermutet wiederkehrte, und der nach seiner Zeit bei uns keinen anderen Ausweg mehr wußte, als einfach auf die Schienen zu gehen und auf den Nachtzug nach Schleswig zu warten.
Weil ich es nicht wagte, ins »Deutsche Haus« hineinzugehen, wußte ich mir schließlich keinen andern Rat: ich pfiff; ich stieß unsern Pfiff aus, als die Musiker Pause machten und die Fenster zum Lüften geöffnet wurden, und ich sah, wie Ina aufhorchte und mit ein paar leeren Gläsern den Saal verließ. Schneller wäre da wohl keiner vom Stapel heruntergekommen, ich flitzte um das Haus herum zum Haupteingang, trat hinter einen Baum und wartete, und
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