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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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Das sagte er, und als die Zeit kam, da hat er sein Versprechen gehalten und die Entdeckung des Chefs drucken lassen.
    Dorothea erzählte das an jenem Abend, als wir allein waren und auf den Chef warteten, ich wollte da gleich, daß sie mir noch mehr erzählte von den Quartieren des Sonnenaufgangs, aber sie mochte nicht, sie fühlte sich zu müde, nur als ich sagte, daß ich nicht genug hören könnte aus dieser Zeit, hat sie mich lächelnd angesehen und hinzugesetzt: Damit du auch das weißt, Bruno, die Nichte, die den Diplomgärtner begleitet hat, das war ich. Dann hat sie mir noch ein großes Glas Buttermilch gegeben und hat angefangen, den Tisch abzuräumen, wobei sie mitunter schmunzelnd innehielt, ihre Augen verengte und mit vorgeschobener Unterlippe über ihr Gesicht blies, über ihr schönes Gesicht.
    Was da alles lebendig wird im Dunkeln, auf einmal glimmt es in den Mutterbeeten, als ob Augen sich öffneten, das Rascheln macht nicht der Wind, die beiden krummen Pfähle rücken näher aneinander heran. Das hetzt und wieselt über der Erde, im Mondlicht rollt sich etwas zusammen, liegt ganz verklumpt da, ganz tot, in den Pappeln brieselt es ununterbrochen, grünes Blatt, silbriges Blatt, wer da draußen auf etwas tritt, muß damit rechnen, daß es weich ist und wegrennt, zu den Blautannen hinüber, der Duft der Blautannen streitet sich mit dem Duft des Heus, der von weither kommt; jetzt muß ich den Riegel vorlegen. Ein Vogel ruft über den Wiesen, und auf den abgelegenen Gehöften das Gebell der Hunde, die anfragen, lauschen, antworten: Melde dich mal, wir bewachen den Horizont.
    Im Dunkeln schickte er mich nach Hollenhusen, ins »Deutsche Haus«, er schwankte ein wenig, als er von den Brunnenbohrern zurückkam, er küßte Dorothea zweimal ziemlich ungenau und mußte lachen über seinen Zustand und bat um nichts als Kaffee. Daß Ina im »Deutschen Haus« beim Servieren aushalf, damit war der Chef einverstanden, aber nachdem er auf die Uhr gesehen hatte, wollte er, daß ich sie abholte. Ihr braucht euch nicht zu beeilen, Bruno, sagte er, nur kommt mir gut nach Haus.
    Die Stimmen, ich hörte immer Stimmen hinter mir, als ich den Pappelweg entlanglief, da war so ein Vorsprecher, dessen Stimme eine eigene Stimmkraft hatte, er wiederholte ständig einen Satz, und die anderen Stimmen antworteten ihm, das ging so bis zum »Deutschen Haus«, erst in der Helligkeit verstummten sie. Ich wagte nicht, einfach hineinzugehen; ins »Kiek in«, in den alten Krug, da wäre ich gleich hineingegangen, aber ins neue »Deutsche Haus«, das aus roten Ziegeln gebaut und hoch und breit war und viele Fenster hatte, traute ich mich nicht ohne weiteres hinein, ich strich erst einmal um das Haus herum, dicht an der Wand.
    Auf dem Hof die Karre, das Sims, die gestapelten Bierfässer: schon war ich oben, hockte mich hin, schob mich an ein großes Fenster heran. Da saßen sie und zeigten sich Photographien, schrieben etwas auf kleine Zettel, einige gingen herum mit großen Gläsern in der Hand, tranken sich zu; dort, wo sie in Gruppen standen, legte auch einer seinem Nachbarn die Hand auf die Schulter, so wie Mirko es tut, wenn er mit mir spricht. Den Weißhaarigen sah ich, der am Kopfende eines langen Tisches saß, sah den Einarmigen, der wohl immer, von einigen Kameraden umringt, für Heiterkeit sorgte, und plötzlich erkannte ich auch den Schmalgesichtigen wieder, der sich an den Chef gewandt hatte mit seiner weit hergeholten Frage; gerade schleppte Ina ein Tablett an ihm vorbei.
    Ach, Ina, wenn du schon damals gewußt hättest, wer er war und was dir bevorstand mit ihm, wenn du geahnt hättest, was euch beiden einmal zustoßen würde, dir und diesem lässigen, schmalgesichtigen Mann, der jünger war als die andern und den ich kein einziges Mal trinken sah. Immer, wenn er mir auffiel, stand er bei einer Gruppe und hörte zu, stand mit verschränkten Armen da, eine wippende Zigarette zwischen den Lippen, er mischte sich nie ein und gab nichts zum besten. Auch wenn er so aussah, als ob ihn nichts besonders interessierte, entging ihm wohl kaum etwas, er bekam gleich mit, daß dir einer die Bänder der kleinen Servierschürze löste, blitzschnell die Schleife aufmachte, während du mit dem schweren Tablett vorbeigingst, und bevor du es selbst merktest, war er schon bei dir und nahm dir für einen Augenblick das Tablett ab, damit du die Schleife wieder binden konntest. Kann sein, daß du ihn da zum ersten Mal gesehen hast oder daß er dir da

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