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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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nicht, weil ich in die Festung muß heute abend, wo sich bestimmt alles entscheiden wird. Ich drehe mich nicht mehr um, und wenn ihr noch so darauf wartet: zu euch drehe ich mich nicht mehr um.

Auch wenn es siebenmal klopft: ich öffne keinem, Magda nicht und Ewaldsen nicht; dem Chef, dem würde ich öffnen, aber er wird nicht kommen, er wird wohl für sich sitzen und über alles nachdenken, vielleicht bereitet er sich auf den Abend vor, liest noch einmal die Papiere und Dokumente und ordnet sie. Wenn es erst Abend wäre und ich wüßte, was aus mir wird, ob es zutrifft, was sie erzählen, oder ob ich nicht doch fortgehen muß, einfach verabschiedet werde wie Lisbeth, mit Erinnerungsphoto und etwas Geld im Umschlag. Wenn ich fort muß, werde ich zuerst mein Geld ausgraben, keiner weiß, daß es beim Wacholder liegt. Ich werde die graue Decke mitnehmen und die Uhr und die Gummistiefel und die Trillerpfeifen, in dem Koffer und den beiden Pappkartons kann ich viel wegtragen, nur die Truhe und die Kommode und das Gestell mit dem Vorhang, die muß ich wohl zurücklassen oder verschenken. Es wird ganz schön leer sein bei mir, wenn ich fort bin.
    Längst hätte ich mal nachsehen sollen, ob mein Geld noch beim Wacholder liegt, ich hab es immer im Dunkeln vergraben, hab gewartet und gesichert und die Stelle umkreist, leiser kann sich keine Katze bewegen, doch manchmal gibt es einen, der unsichtbar mitschleicht, der sieht, was er sehen will, und der dann, wenn er endlich allein ist, das Vergrabene aus der Erde holt.
    Einmal ist mir einer nachgeschlichen, damals, als ich mein Geld neben dem Bootsskelett vergrub, er hat mich heimlich verfolgt und beobachtet, und nachdem ich weggegangen war, hat er sich genommen, was ihm nicht gehörte. Auch wenn ich immer noch keinen Beweis hab, ich weiß genau, wer es war; der Regen hat damals zwar die Spuren verwischt, dennoch stand es von Anfang an für mich fest, daß nur er es gewesen sein konnte, er, der immer schlecht zu Bruno war und der mich nur deshalb seinen Freund nannte, weil ich ihm in seinem Unglück half.
    Er hat behauptet, daß der Wind ihn umwarf, eine plötzliche Fallböe, aber ich hab gesehen, daß er mit dem dreirädrigen Lieferauto zu forsch auf den Ziegelweg einbog – dort, wo der Frost die Steine hochgedrückt hatte –, er hat das Steuer bestimmt zu scharf herumgerissen, und das kleine Auto kippte auf die Seite, und die Persenning riß sich los und flatterte und schlappte wie ein Segel. Heiner Walendy sollte das Auto seines Stiefvaters nach Hause fahren, vom »Kiek in«, dem ältesten Krug in Hollenhusen, zu dem Neubau, in dem sie wohnten; er hatte bei seinem Stiefvater so lange darum gebettelt, bis der ja sagte und ihm die Schlüssel gab, obwohl Heiner Walendy keinen Führerschein hatte. Da lag er, lag auf der Seite am Rand eines Rapsfeldes, und ich rannte gleich los, doch noch bevor ich bei ihm war, konnte er die Tür öffnen und sich hinauszwängen; er war so erschrocken, daß er für eine Weile gar nichts sagen konnte. Ihm war nichts geschehen, und dem Auto war auch nicht viel geschehen, aber die Ladung, die war ins Feld geflogen, auf die schwarze, aufgeweichte Erde: flache Holzkisten und Aluminiumschüsseln und Emailleschalen lagen da herum, Eisgrus schimmerte bläulich, vor allem aber die Fische: um das gestürzte Dreirad herum war die Erde besät von verdreckten, verschmierten Fischen, die Heiner Walendys Stiefvater – den alle bei uns nur Fisch-Otto nannten, weil er zweimal in der Woche die Hollenhusener und die abgelegenen Gehöfte belieferte – nicht losgeworden war.
    Schleiheringe sah ich, weißgraue Dorschfilets, Makrelen und Butt und ein paar Aale, aber auch Geräuchertes, Bücklinge und Sprotten und sanft gedrehte Schillerlocken, alles backte fest auf dem nassen Feld, nur einige Flachfische, die versuchten sich in befreiender Krümmung und klappten die Kiemen ab, und die paar Blankaale suchten schlängelnd die Tiefe des Rapsfeldes. Während Heiner Walendy nur blaß und steif dastand, sprang ich gleich ins Feld, um den Aalen den Weg zu verlegen, ich setzte ihnen einfach meine Schuhe entgegen und zwang sie zur Umkehr, und später schnappte ich sie, die schon ziemlich schlapp waren, wischte sie mit einem Lappen sauber und legte sie in eine Holzkiste. Mus, sagte Heiner Walendy, wenn er das sieht, schlägt er mich zu Mus, und damit gab er zu, wieviel Angst er hatte vor seinem Stiefvater. Eine Weile sah er nur zu, wie ich die Fische einsammelte, reinigte und

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