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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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ihnen zugeteilt, damit ich ihnen beibringe, worauf es ankommt; aber ich sehe schon, daß sie hart rangehen an die Basistriebe und daß sie die Seitentriebe so zurückschneiden, daß alles schräg zuläuft. Das Unordentliche muß weg, das Sperrige, denn die Leittriebe müssen Platz finden; seid bloß nicht zimperlich: nichts regt das Wachstum so an wie ein guter Schnitt. Ihr werdet euch wundern, wie Heckenpflanzen sich erziehen lassen, wenn man sie nur früh genug in Form bringt.
    Auf den Findling, ich muß auf den Findling steigen, von ihm aus kann ich fast alles überblicken. Wie pulvrig die grauen Flechten sich auflösen, sie zergehen zu Pulver und sind dennoch nicht tot; wenn es sein muß, sagte der Chef einmal, kann die Flechte es mit jedem Stein aufnehmen, die klammert und dauert auf ihre Art. Wie das Licht schmerzt! Flimmrig liegt es über unserm Meer von Bäumen. Das also, das und auch alles bis zum Bahndamm und bis zur Steinmauer, die ich geschichtet hab: es ist das Stück, von dem wir leben, es ist seine Freude, sein Stolz, dieses Land, das er mir zugedacht haben soll. Wer das besitzt, der muß auffallen, von dem wird noch und noch gesprochen, über seine Herkunft und Fähigkeiten, und erwartet, es wird viel erwartet von ihm, Ratschläge und Anweisungen, er muß seine Überlegenheit beweisen, mißlingen darf ihm nicht viel. Zeigt er sich, dann heißt es: Da kommt er, da geht er, man bückt sich und weicht seinem Blick aus, legt ein bißchen zu, wenn er danebensteht, und wenn er mal nachfragt, ist alles in bester Ordnung. Trauer kann er sich nicht leisten. Allein sein darf er nicht nach Wunsch. Übersieht er etwas aus Müdigkeit, muß er für alle Folgen aufkommen. Stellt er einen Anspruch, dann wird der ihm gleich bestritten aus mehrfachen Gründen.
    Ich beanspruche nichts, ich kann nicht übernehmen, was mir nicht zukommt, schon der Gedanke macht mich schwindlig, daß dies alles eingeschrieben wird auf meinen Namen, diese dankbaren Quartiere, die nach seinem Willen geplant sind. Wer allzu lange ins Licht sieht, der wird blind, sagte einer – aber wer nur? Vielleicht war es Simon, der alte Soldat in dem niederziehenden Mantel. Sie heben sich, die Spaliere; wie von einer sanften Dünung bewegt, beginnen sie zu schwanken, werden hochgetragen, gleiten in ein Tal hinab, nicht anders, als ob unsichtbare Wellen da hindurchliefen und alles erfassen mit ihrer gleichmütigen Kraft, das schlingert und torkelt, reckt sich und sucht einen Grund, und ich höre plötzlich einen Wind, hoch über den Gehölzen, einen feinen Wind wie eine Singstimme. Dieser Druck. Diese Übelkeit. Dieses Dröhnen auf einmal. Ich muß runter vom Findling, auf die Erde, liegen, mich ausstrecken und liegen und mit dem Kopf an den Boden schlagen, gut, wie das dröhnt, zurückdröhnt, diese fleckige Dunkelheit, die Ringe, eine kleine Handvoll Erde in den Mund, warme Erde, körnig und süß, nur nicht essen, nur ganz ruhig atmen. Sie sind da, sie sind es doch: ihr Gehüpfe, ihr fröhliches Geschrei, beide haben weiße Kniestrümpfe an, sie umtanzen mich auf ihren dünnen Beinen, gewiß haben sie mich beobachtet, verfolgt, meine Quälgeister in Matrosenanzügen. Ich werde mich aufsetzen, ich werde so tun, als ob ich müde war und ein bißchen geträumt habe, mein Lächeln macht schon, daß sie sich näher heranwagen; kommt, setzt euch, sage ich, setzt euch zu mir, und ihr werdet etwas erleben. Da, probiert mal, sage ich, wer ein richtiger Mann werden will, der muß auch einmal Erde gegessen haben, nur ein Häufchen, ein Klümpchen, da, nehmt nur, ich hab’s auch gerade probiert, man kann danach gleich in siebenfacher Schärfe sehen, wie ein Bussard. Sie trauen mir nicht, zuerst wollen sie, daß ich etwas Erde runterschlucke, also paßt auf – habt ihr’s nun gesehen? Sie beäugen, beriechen die Erde, nein, sie glauben mir nicht und werfen die Proben hintereinander hoch in die Luft. Jetzt kann ich wieder aufstehen, ich werde ihnen den Rücken kehren, mal sehen, was sie sich diesmal ausgedacht haben für mich, ich werde ganz langsam gehen, zu mir.
    Was sagt er, was sagen sie? Als ob sie sich abgesprochen hätten, so ergänzen sie sich: Heute abend, ich soll heute abend in die Festung kommen. Man hat sie ausgeschickt, sie sollen mich suchen, Onkel Joachim hat sie also beauftragt, mir die Nachricht zu überbringen, und das ist schon alles. Sie riskieren nichts, obwohl ich ihnen den Rücken zukehre und davongehe, vielleicht wagen sie es deshalb

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