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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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klapperte und kratzte – ich hörte es von meinem Lager. Es war wohl spät in der Nacht, als Joachim zurückkam, ich war eingeschlafen und hochgeschreckt und wieder eingeschlafen, aber weil ich mir vorgenommen hatte, bei seiner Rückkehr wach zu sein, wurde ich auch wach, seine Stimme kam zu mir in den Schlaf, seine kleinlaute Stimme, die Dorothea nur soviel zu berichten hatte, daß er abgewiesen worden war, in Schleswig, im Krankenhaus, ohne weitere Erklärung abgewiesen, alles Reden und Ausharren hatten nichts geholfen, er durfte das Krankenzimmer nicht betreten, und nun war er hier und wußte einfach nicht, was er tun sollte. Was soll ich nur tun, sagte er mehrmals, und wenn einer wie Joachim so etwas sagte, dann hatte es schon viel zu bedeuten.
    Dorothea, die wußte bald, was zu tun blieb; sie brauchte nur lange genug mit sich zu Rate zu gehen, dann fiel ihr noch jedesmal ein, wie einem geholfen werden konnte, ganz gleich, ob ich es war oder Ina oder mitunter sogar der Chef, sie verfiel schon auf etwas, und eines Morgens machte sie uns mit ihrem Plan bekannt, südwärts zu fahren, dahin, wo es Heide und Wälder gab, für gut zwei Wochen wollte sie zum ersten Mal verreisen, zusammen mit Joachim, ins Land der Schafe. Sie sagte: Wir haben es wohl beide nötig; und sie sagte auch: Wenn wir weg sind, dann werdet ihr erst merken, was ihr an uns habt. Joachim freute sich nicht auf die Reise, er sah nur wortlos zu, wie Dorothea alles für ihn einpackte, und als ich ihr Gepäck zum Bahnhof brachte und dem davonfahrenden Zug nachwinkte, da hat nur Dorothea zurückgewinkt, Joachim nicht.
    Gleich hört das Brennen auf, meine Haut ist straffer als die Haut von Joachim, rauher und straffer, das künstliche Augenlid ist ein wenig blasser als das andere, aber einen großen Unterschied zwischen den Augenlidern gibt es nicht. Heute wird Ewaldsen mich nicht zur Arbeit einteilen; wenn er mich sieht in den guten Sachen und rasiert, dann wird er bestimmt wissen wollen, was ich vorhabe oder wen ich erwarte, vermutlich wird er fragen, was er schon ein paarmal gefragt hat: Na, Bruno, bei wem willst du heute Eindruck schinden; doch aus mir wird er nichts herausbekommen, nein. Gewiß sind sie alle schon bei der Arbeit. Vielleicht sollte ich die Uhr reparieren lassen, jedem fällt sie sofort auf, jeder beneidet mich und möchte das schöne Marmorgehäuse in die Hand nehmen, dabei hat kaum einer bemerkt, daß meine Uhr nur einen einzigen Zeiger hat, nur den kleinen, den großen hab ich selbst abgebrochen, er war fast so scharf wie ein Messer, die dünne Wunde blutete stark und wollte und wollte nicht heilen.
    Besehen, ich muß es mir jetzt einfach besehen, unser Land, das nach Norden liegt und von dem es heißt, daß der Chef es mir zugedacht hat in seinem Schenkungsvertrag; obwohl ich nur die Augen zuzumachen brauche, um gleich alles vor mir zu haben, möchte ich es in Ruhe abgehen, von der Senke aus zum Brunnen, zum Findling, zur Windschutzhecke und dann zur Mauer hinüber und weiter an Lauritzens Wiesen entlang und wieder zur Senke zurück. Wer mich sucht, wird mich schon finden, hat mich jedesmal gefunden. Am liebsten möchte ich, daß Johanni wäre, und daß ich mir einen wilden Brombeerzweig an die Mütze stecken könnte, denn wer zu Johanni einen wilden Brombeerzweig an der Mütze trägt, der ist unsichtbar, das hat der Chef mir versichert, er hat es selbst ausprobiert, dort, wo er herkommt, in den Quartieren des Sonnenaufgangs: unsichtbar hat er zugehört, was sie im Haus sprachen, hat auf dem Brückengeländer gesessen und am Zaun gelehnt, unsichtbar, und seine Leute gingen an ihm vorbei und betrugen sich, als wären sie allein. So möchte ich auch jetzt durch die Quartiere gehen, unbemerkt, still für mich, ohne daß sie mir von überall zurufen und auf mich zeigen und mir nachgucken.
    Wenn es zutrifft, was gesagt wird, dann will der Chef, daß mir der größte Teil der Nadelholz-Quartiere zufällt, die Fichten, die Lärchen, die Schmucktannen und die Blautannen, meine Blautannen, und was sich dort im Sand bescheidet; der Wacholder soll mir auch gehören – seine Beeren könnte ich unentwegt kauen, seine an luftigem Ort getrockneten Beeren. Dort seine Kiefer, die schöne Parkkiefer, die nach fünfzig Jahren eine weißbunte Rinde bekommt, hat mir der Chef wohl kaum zugedacht, aber wenn es wahr ist, was gesagt wird, dann soll ich die dreijährigen Taxussämlinge bekommen, die so empfindlich sind gegen Sonnenbrand.
    Nein, es kann

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