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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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dich hin.
    Dann tranken wir von dem Bier, das sie aus einer Gemeinschaftskasse bezahlten, und Heiner Walendy erzählte, was ihm mit dem Lieferwagen passiert war, und ließ mich die Einzelheiten bestätigen. So, wie er es erzählte, hatte ich das meiste getan, um das Mißgeschick zu beheben, und immer wieder hob er meinen Anteil hervor, lobte meine Schnelligkeit und meinen Spürsinn, einmal mußte ich vormachen, welche Finger man spreizen muß, um einen Aal festzuklemmen, dazu nickte er bewundernd und forderte alle auf, zu trinken. Ohne Bruno, sagte er, wäre ich nicht hier, und er sagte auch: Bruno sollte sich ruhig öfter mal bei uns sehen lassen. Zwei von ihnen zwinkerten mir zu, und darüber war ich froh und überließ ihnen gern mein Bier, das mir viel zu bitter schmeckte und den Kopf schwer machte. Heiner Walendy fragte nicht nach dem Geld, ich gab es ihm draußen auf dem Flur, schnell und ohne ein Wort, niemand sah es. Er zählte nicht nach, er schob das Geld gleich in die Tasche und nickte mir dankbar zu, und dann forderte er mich auf, doch öfter mal ins »Kiek in« zu kommen, zu ihm, zu seinen Freunden, die ab und zu etwas losließen, wie er sagte, etwas Gekonntes, etwas Dolles, das immer noch für Gesprächsstoff und Gelächter gesorgt hatte. Und ich ging zu ihnen, wenn der Chef mich nicht mehr brauchte, und sie hießen mich jedesmal willkommen, gaben mir zu trinken, brachten mir ihre Spiele bei, keiner versuchte, mich reinzulegen oder irgend etwas anzustellen mit mir, und wenn sie mich an meinen Beitrag für die Gemeinschaftskasse erinnerten, dann legten sie mir immer die Rechnungen vor und ließen mich selbst nachprüfen.
    Einmal kam ein kleiner Zirkus nach Hollenhusen, der brachte einen Hungerkünstler mit, einen kurzen Mann, der in einem abgewetzten schwarzen Anzug auf einem Sofa saß und rauchte, unentwegt rauchte; zu jeder vollen Stunde goß er sich aus einer großen Flasche Wasser in ein Glas und trank, dabei konnte man ihm zusehen. Vierundvierzig Tage hatte der Mann bereits gehungert, alles an ihm war geschrumpft und eingefallen, nur seine Augen, die hatten sich geweitet, graue, traurige Augen, die alles übersahen, was in der Nähe passierte. Wir standen eine Weile bei ihm und bewunderten ihn, ich und Heiner Walendy und die anderen, doch weil er nicht mehr bot als Rauchen und Trinken und sein Blick immer nur die Ferne suchte, beschlossen wir, in sein Programm einzugreifen, wir wollten einfach mehr von ihm sehen, und einer von uns rannte zum »Kiek in« und holte Weizenkorn, eine halbvolle Flasche. Wie leicht es war, den Korn in die Flasche zu füllen, aus der der Hungerkünstler zu vollen Stunden trank! Wir rückten ganz nah an das Sofa heran und schirmten Arno so gut ab, daß er sogar drei Flaschen unbemerkt hätte umfüllen können, und danach gingen wir wieder auseinander und warteten.
    Außer uns hatten sich noch ein paar Hollenhusener eingefunden, die beobachten wollten, wie der Hungerkünstler trank, und als die volle Stunde kam, wurde es still, Kinder ließen sich hochheben, Ehepaare tauschten Blicke, alle hingen an dem knochigen Mann, der sich zaghaft bewegte, wie zur Probe bewegte, zuerst sorgfältig seine Zigarette ausdrückte, dann die Beine streckte, dann seinen Hals massierte und sich endlich die Flasche angelte und das Glas. Gleich wird er trinken, sagte einer hinter mir. Und dann trank er, zuckte zusammen, winkelte in der Hüfte ab und preßte die Hände auf den Magen, sein Blick starr vor Entsetzen. Auf ein Zeichen von Heiner Walendy vertröpfelten wir uns, schoben an den Wägelchen vorbei zur Straße, noch wollte keine Heiterkeit aufkommen, noch sagten wir nicht einander vor, was uns gelungen war, das taten wir erst in unserem Raum im »Kiek in«, als wir unter uns waren.
    Feiern, es mußte gefeiert werden, und zuerst stellten wir uns um einen runden Tisch, jeder streckte die rechte Hand aus, wir legten unsere Hände aufeinander und standen mit gesenkten Gesichtern da – ich weiß immer noch nicht, warum sie das machten, doch ich fragte nicht, meine Hand steckte zwischen ihren Händen, ich fühlte sie kaum noch, spürte nur ein warmes Gewicht und war glücklich. Anfangs wagte ich es nicht, meine Hände einfach auf ihre Hände zu legen, aber Heiner Walendy sah mich nur an und sagte: Worauf wartest du, Bruno?, und da trat ich schnell an den Tisch und wußte, daß ich dazugehörte. Einen Augenblick standen wir so, ich hätte gar nichts sagen können vor Erregung, plötzlich stieß

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