Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
Vom Netzwerk:
Heiner Walendy einen Zischlaut aus, jeder zog seine Hand zurück, und auf ein Signal machte jeder eine Faust und schlug dreimal auf die Tischplatte; daß ich nachkleckerte, nahmen sie mir nicht übel. Dann setzten wir uns hin, eine Flasche mit einem Rest Weizenkorn kreiste, jeder nahm nur einen Schluck, ich mußte es ihnen nachtun, obwohl es brannte, ich mußte als letzter aus der Flasche trinken.
    Diese Enttäuschung, als Arno aus der Wirtsstube zurückkam und erklärte, daß die Feier leider nicht stattfinden könne, da in der Gemeinschaftskasse nichts mehr drin sei und die Frau des Wirts uns erst wieder erlaube, anschreiben zu lassen, wenn wir die Schulden des vergangenen Monats bezahlt hätten. Da machten die meisten bekümmerte Gesichter und maulten und hatten wenig Lust, sich vorzuerzählen, was mit dem Hungerkünstler geschehen war. Daß sie ihre Taschen umdrehten, half ihnen auch nicht, es rollte nichts heraus, und Heiner Walendy sah mich bekümmert an und sagte: Dann muß sie eben ausfallen, unsere Feier.
    Ich schüttelte nur den Kopf, stand auf und ging zur Tür, und bevor ich sie verließ, sagte ich in ihre Verwunderung hinein: Wartet hier auf mich, und dann lief ich durch die Dämmerung, schnürte über unser Land zu dem steinharten Bootsskelett und grub eine Blechbüchse aus und zweigte eine Handvoll Münzen ab.
    In all der Eile vergaß ich zu sichern, ich schlug keine Haken, lauschte und wartete nicht; nachdem ich die Büchse mit der Hand vergraben hatte, lief ich auf dem Trampelpfad neben den Schienen zurück ins »Kiek in«, wo sie immer noch trocken herumsaßen – bis auf Heiner Walendy, der draußen war, um irgendwas aufzutreiben: das sagten sie. Es dauerte nicht allzulange, bis er kam, ich gab ihm das Geld, und er zeigte es allen und sagte: Bruno, er hat unsere Feier gerettet, und danach bestellten wir; daß ich nicht mittrinken wollte, nahmen sie mir nur am Anfang krumm, später ließ es sie gleichgültig.
    Ich hab nicht ausreichend gesichert, das war es, darum konnte es geschehen, daß einer – und nur er kann es gewesen sein – mir nachschlich und mein Versteck erkundete und sich heimlich ausgrub und nahm, was ihm nicht gehörte. Leer, an jenem Morgen war mein Versteck am Bootsskelett ausgeräumt, allerdings entdeckte ich es nicht am Morgen nach unserer Feier, sondern später, zu Beginn jenes Sommers, als unseren Beständen die höchste Güteklasse bescheinigt wurde und wir Markenetiketten zugesprochen bekamen, die Sortenechtheit garantierten und gesunden Wuchs und gute Bewurzelung; und es war jener Sommeranfang, als der Chef seinen Plan nicht mehr für sich behalten mochte: im Nieselregen nahm er mich mit auf den Kommandohügel, auf die sanfte Erhebung, die nichts trug, von der aus sich unsere Quartiere nach allen Richtungen überblicken lassen; hier legte er mir eine Hand auf die Schulter, lenkte meinen Blick, drehte mich leicht hierhin und dorthin und ließ sich viel Zeit, ehe er etwas sagte.
    Die Festung, er hatte sich entschlossen, die Festung zu bauen. Nun ist es soweit, Bruno, sagte er, und er sagte auch: Jetzt werden wir ihn endgültig in Besitz nehmen, den alten Exerzierplatz, auf dem alles geübt wurde, Angriff und Verteidigung: hier wird unser Haus stehen, es wird sich über die Quartiere erheben, ein Haus mit genügend Platz für uns alle – der Kollerhof ist zu alt. Mit einem Stock furchte er einen krummen Grundriß in den Boden: hier, siehst du, hier die Terrasse nach Südwesten, und über die ganze Breite das Gebäude, zweigeschossig, und hier der Haupteingang und zwei Nebeneingänge, du kriegst deinen eigenen Raum mit allem, was dazu gehört, und vorne, siehst du, da sind die Rosenbeete und an den Seiten Rhododendren; es wird ein Wunschhaus, in dem jeder bleiben möchte.
    Am Abend auf dem Kollerhof, da brachte der Chef nach dem Essen eine Rolle mit Zeichnungen auf den Tisch, alles war schon entworfen nach seinen Plänen und Vorstellungen, und wir umlagerten ihn und ließen uns einweisen und staunten nur, wieviel er bedacht hatte und wie sorgsam jedem von uns etwas zugesprochen war – auch Max sollte sein kleines Reich haben, obwohl er nur in den Ferien zu uns kam. Die durchgehenden und die gestrichelten Linien, die Querschnitte, Pfeile und Zahlen: ich konnte mich nicht zurechtfinden auf den Zeichnungen, fand kein Bild – im Unterschied zu Ina, die gleich alles verstand und vor sich sah und am liebsten einen Eingang für sich allein gehabt hätte. Joachim, der interessierte

Weitere Kostenlose Bücher