Lenz, Siegfried
verschüttgegangen war, sagte er nur: Was weißt du denn davon, und danach stieg er hinab und scharrte ein bißchen und ließ ein wenig Erde durch die Finger gleiten; den Brustkorb betastete er, aber den Schädel, den untersuchte er sehr genau. Der Chef half ihm, aus dem Graben herauszuklettern, wir umringten ihn, doch konnte er uns auch nur sagen, was wir alle schon wußten; daß dieses Land früher ein Exerzierplatz gewesen war, und daß man den da unten sicher in jenen Tagen hier vergraben hatte, wer weiß warum. Hier ging’s heiß zu, das sagte er auch. Er verfügte eine Unterbrechung der Arbeit. Er wollte, daß nichts angerührt wurde bis zu eingehender Untersuchung und zum Abtransport. Er gab zum Abschied nur dem Chef die Hand und sagte: Ausgerechnet, was? Und der Chef zuckte die Achseln und sagte darauf: Ein Exerzierplatz eben, da muß man auf einiges gefaßt sein.
Im Schuppen, in der Senke, wo wir uns ein wenig ausstrecken wollten, lag der Chef nur mit offenen Augen da, er, der überall sofort einschlafen konnte wie auf Befehl, sackte nicht weg, er musterte die Feuchtflecken an der Decke, knetete seine Finger, mitunter ächzte er leise. Es kam nicht dazu, daß ich über seinen Schlaf wachen konnte wie so manches Mal an der geschichteten Mauer oder beim Findling, sein Atem beruhigte sich nicht, und da er wußte, daß auch ich nicht schlief, begann er auf einmal zu sprechen, er erzählte von einem anderen Land, Berge fielen sanft zum Meer ab, zwischen den schütteren Korkeichenwäldern schimmerte mausgraues Gestein, die Buckel sahen aus, als hätten sie ein durchgescheuertes Fell. Eine Eisenbahnlinie führte um die Berge herum, manchmal verschwand sie auch in einem Tunnel, und in einer Schlucht, in der nur einzelne Krüppeltannen wuchsen, lagen umgestürzte Waggons, zerbeult und zerschmettert mit den Rädern nach oben.
Weil die Schienen immer wieder aufgerissen oder gesprengt wurden, mußte der Chef sie sichern, er und einige Leute seiner Kompanie, sie konnten aber nur wenig ausrichten, weil die andern überall und nirgends waren, und einmal wurden sie eingeschlossen und belagert. Manch einer wurde abgeknallt. Der Chef war mit seinem besten Freund zusammen, sie teilten sich alles, zuletzt eine Handvoll Oliven, sie verteidigten sich lange, aber eines Nachts wurden beide getroffen, und der Chef kam erst wieder in einem Notlazarett zu sich. Sein Freund blieb verschollen.
Nachdem er wieder gesund geworden war, gab es nur eins für ihn: er mußte herausbekommen, wo sein Freund geblieben war, und er suchte und forschte, prüfte Verlustlisten, einen halben Urlaub hat er damit verbracht, alles zu untersuchen – erst nach zwei Jahren, als er wieder dorthin kommandiert wurde, fand er etwas. In der rötlichen, ein wenig aufgebuckelten Erde neben den Schienen wuchsen zwei Olivenbäumchen – es waren die letzten Oliven, die der Chef seinem Freund in die Tasche gesteckt hatte. Da wußte er, was er wissen wollte.
Unten im Schuppen hat der Chef das erzählt, als er dalag, ohne einschlafen zu können, und er hat sich gewünscht, daß sie bei dem Skelett am Fuß des Kommandohügels ein paar Dinge finden möchten, mit deren Hilfe sich etwas herausbekommen ließe über Herkunft, Name, Todesart, er dachte an eine Erkennungsmarke oder an ein Feuerzeug mit Monogramm, doch es erwies sich, daß man dem Mann da unten alles fortgenommen hatte. Was von ihm übriggeblieben war, haben sie behutsam eingesammelt und abtransportiert; die Arbeit, die wurde erst wieder aufgenommen, nachdem das Auto verschwunden war, und es war der Chef selbst, der das Signal gab und die Leute antrieb.
Und er ließ es sich auch nicht nehmen, das Ausschachten und das Gießen der Fundamente selbst zu überwachen, überall mußte er dabei sein, nahm dem Architekten oder dem Polier die Zeichnungen aus der Hand und kontrollierte und verglich, einmal schleppte er Steine, einmal schleppte er Bier, er vermaß und mauerte, turnte im Gerüst herum, mischte sogar Mörtel nach. Die Münzen, die Zeitungen und Urkunden, die durfte ich in die Maueröffnung schieben, und alle standen herum und klatschten, während er das Loch zumauerte. War das ein Gewimmel, die Anfahrten und Abfahrten und die ewige Staubfahne, und das Rattern und die Rufe im Wind; stetig wuchs die Festung auf, bald konnten wir den Rohbau vom Kollerhof aus erkennen, das ausladende Mauerwerk, das die Hollenhusener erstaunte und das uns ungeduldig und stolz machte: Nur noch ein Weilchen, sagte der Chef,
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