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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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dann sind wir endgültig angekommen, dann ist dies ein für allemal unser Exerzierplatz. Das sagte er.
    Zum Richtfest waren auch einige Nachbarn gekommen, ein böiger Wind ging, der viel von der Rede des Poliers mitnahm, aber auch die Dankrede des Chefs kam nur bruchstückhaft über, jedenfalls bekamen wir die Wünsche und Hoffnungen und Gelöbnisse mit, die da wechselweise laut wurden, und Dorothea knipste die Redner einzeln und knipste sie, wie sie sich die Hand gaben, und sie hörte nicht auf zu knipsen, als die Richtkrone mit den bunten Bändern festgemacht wurde und die Dachdecker und Zimmerleute uns ihr Spiel vorführten, das es nur noch in Hollenhusen gibt: am letzten behauenen Balken versuchten die Dachdecker die Zimmerleute zu sich heraufzuziehen, die aber stemmten sich mit ihrem Gewicht dagegen und versuchten ihrerseits, die Dachdecker aus ihrer Höhe herunterzuholen, das war ein Geschaukel und Gewippe, und man konnte schon Angst haben, daß dieser oder jener abstürzte oder weggeschleudert wurde, doch alle kannten ihr Spiel, und darum ist keiner zu Schaden gekommen.
    Auch wenn die Fröhlichkeit groß war, gezittert hab ich doch, und ich hab mich erst beruhigt, als Körbe herumgetragen wurden, Körbe mit kalten Frikadellen und Würstchen und panierten Koteletts, aus denen sich jeder nehmen durfte, soviel er wollte. Bier und Weizenkorn mußte sich jeder selbst holen vom Behelfstisch, den ich im Windschatten aufgeschlagen hatte; mehr Flaschen haben wohl selten nebeneinander gestanden. Bestimmt hätten wir von allem etwas übrigbehalten, wenn da nicht die Hollenhusener gewesen wären, sie, die nur aus scheeler Neugierde gekommen waren, langten jedesmal zu, wenn ein Korb an ihnen vorbeigetragen wurde, und was sie nicht gleich essen wollten, das wickelten sie sich ein für später; und während sie in sich hineinbrockten und wegkippten, was ihnen nicht zugedacht war, ließen sie sich auf ihre Art über die Festung aus, nannten sie abschätzig einen Kasernenbau oder das Flüchtlingsschloß, und eine alte quelläugige Flunder, die wohl schon acht Frikadellen verschlungen hatte, fand den Ausdruck »Villa Großkopf«. Am liebsten hätte ich sie alle verwandelt, in Telegraphenstangen oder in Chausseesteine.
    Einer jedoch sparte nicht mit Lob und Anerkennung, ein graugekleideter Mann, den keiner erwartet hatte; mit verlegenem Lächeln ging er zum Chef und überreichte ihm ein Mehl- und ein Salzfäßchen, die schönsten Fäßchen, die ich je gesehen habe, und danach wollte er schon bescheiden zurücktreten, aber der Chef, dem ebensoviel Überraschung wie Freude anzusehen war, ließ es nicht zu: schnell rief er Ina zu sich, gab die Fäßchen an sie weiter, und gemeinsam führten sie Niels Lauritzen durch den Rohbau, zeigten ihm, der bestimmt ohne Wissen seines Vaters gekommen war, die unverputzten Räume, wobei sie über manche Sperrlatte klettern mußten. Ich beobachtete sie auf ihrem Gang, und als sie ins Freie traten, da schnappte ich mir einen Korb und bot Niels Lauritzen kalte panierte Koteletts an, doch er wollte nichts essen, er gab mir freundlich die Hand und sagte: Danke, Bruno, und er sagte auch: Ein herrliches Haus, hier kann man es aushalten. Er hatte warme kluge Spanielaugen, und obwohl er so jung war, zeichneten sich auf seiner Stirn schon Falten ab. So oft ihm auch etwas aus einem Korb angeboten wurde, er lehnte immer ab, doch Ina, die schaffte es, daß er etwas trank, er wartete, bis auch sie sich ein wenig eingeschenkt hatte, und dann tranken sie sich zu und setzten sich auf einen übriggebliebenen Stapel Ziegelsteine, wo Ina sich zum zweiten Mal erklären ließ, wie man das schöne Mehl- und Salzfäßchen nachfüllen muß.
    Hinlegen, für eine Weile werde ich mich hinlegen, wer weiß, was sie mit mir vorhaben am Abend, wie lange sie mich bearbeiten werden – auch Max, dem ich soviel verdanke. Sein Buch, die verblaßte Widmung: Bruno, dem geduldigen Zuhörer, zur Erinnerung an gemeinsame Jahre; wenn ich langsam lese, höre ich ihn gleich sprechen. Theorie des Eigentums. Der Mensch, der nichts will. Der Mensch, der nichts weiß. Der Mensch, der nichts hat. Fünfmal hab ich das schon gelesen, und alles zieht vorüber auf Nimmerwiedersehn, die Namen, die Gedanken, aber Meister Eckhart, den erinnere ich, Max nennt ihn immer nur Meister und spricht viel von ihm, von seiner Bedeutung und davon, daß alles gilt, was er vor langer Zeit geschrieben hat.
    Ich hab ihn mir immer mit einer Lederschürze

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