Léon und Louise: Roman (German Edition)
gekickt und zu den Dienstmädchen hochgeschaut, die in den offenen Fenstern mit ihren Staubwedeln hantierten; auf dem Pont Saint-Michel hatte er die letzte Kastanie aufgehoben und mit Schwung in die Seine geworfen, und als er in den Quai des Orfèvres einbog, war er aus reinem Vergnügen ein paar Schritte gerannt.
Als er ins Labor kam, stand auf seinem Schreibtisch wieder die neue Siemens-Lampe, die alte Funzel war verschwunden. Léon suchte in allen Ecken, trat hinaus auf den Flur und spähte nach links und nach rechts, rieb sich den Nacken und legte die Stirn in Falten. Dann kehrte er zurück zu seinem Schreibtisch, nahm die oberste Karte vom Stapel und begann sein Tagwerk.
Es dauerte bis zum späten Nachmittag, bis seine Befürchtung sich bewahrheitete. Als er von einem Gang zur Toilette zurückkehrte, saß auf seinem Sessel Hauptmann Knochen. Er stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, und er schien müde zu sein und der ganzen Mühsal überdrüssig.
»Was stehen Sie da draußen rum? Kommen Sie rein, Le Gall, und machen Sie die Tür zu.«
»Guten Tag, Herr Hauptmann. Lange nicht mehr gesehen.«
»Lassen wir die Komödie, ich habe keine Lust mehr auf Spielchen. Wir sind erwachsene Männer.«
»Wie Sie wünschen, Hauptmann.«
»Standartenführer, ich bin befördert worden.«
»Gratuliere.«
»Ich bin hier, um Sie zu warnen, Le Gall. Sie gefallen sich wieder als Saboteur, das kann ich nicht durchlassen. Sehen Sie sich vor, ich warne Sie.«
»Herr Standartenführer, ich gebe mein Bestes …«
»Lassen Sie das Gequatsche. Natürlich sind Sie zu feige für richtige Sabotage, Sie spielen nur so ein bisschen Résistance, dass es keinem wehtut. Sie wollen, dass Ihr Gewissen stillhält, und deshalb machen Sie absichtlich Fehler wie ein Schulbub. Ich an Ihrer Stelle würde mich schämen.«
»Herr Standartenführer, erlauben Sie auch mir ein offenes Wort?«
»Bitte.«
»Ich an Ihrer Stelle würde mich auch schämen.«
»Ach ja?«
»Sie kommen her und spielen den starken Mann im Wissen, dass Sie sämtliche Panzer und Granaten hinter sich haben.«
»Immerhin habe ich sämtliche Panzer und Granaten hinter mir.«
»Wenn Sie an meiner Stelle wären und ich an Ihrer …«
»Wer kann das wissen, Le Gall. Tatsache ist, dass letzten Herbst, als sie noch ordentlich Schiss um Ihr Töchterchen hatten, Ihre Fehlerquote bei acht Prozent lag. Jetzt sind ein paar Monate vergangen, das Mädchen pinkelt wahrscheinlich nur noch jede zweite Nacht ins Bett, und schon werden Sie wieder übermütig und leisten sich vierzehn Prozent.«
»Mir war nicht bewusst …«
»Schnauze, wir wollen nicht quatschen. Noch sind Sie nicht wieder bei dreiundsiebzig Prozent angelangt, aber es geht aufwärts. Wo wir schon dabei sind: Was stört Sie an dieser Tischlampe, was hat sie Ihnen angetan?«
»Die Lampe ist nur eine Lampe.«
»Stört es Sie, dass sie von Siemens ist?«
»Ich habe empfindliche Augen, das grelle Licht blendet mich. Die alte Lampe …«
»Schnauze. Die Lampe bleibt, wo sie ist. Nehmen Sie das als letzte Warnung.« Knochen seufzte und schwang seine Stiefel auf den Schreibtisch.
»Herr Standartenführer, erlauben Sie mir eine Frage.«
»Was.«
»Wieso ich?«
»Was wieso Sie.«
»Ich bin der Einzige im Haus, der von Ihnen mit Kaffee und einer neuen Lampe traktiert wird.«
»Sie haben sich umgehört?«
»Wieso ich, Herr Standartenführer?«
»Weil Sie der Einzige sind, der Fisimatenten macht.«
»Am ganzen Quai des Orfèvres?«
»Sie sind der einzige unter fünfhundert Beamten, der hier den Helden spielt. Und jetzt machen Sie mir einen Kaffee, ich bin müde. Schön stark, wenn ich bitten darf.«
»Sie wünschen …«
»Jetzt gleich.«
»Filterkaffee oder Mokka?«
»Mokka. Mit Ihrer Kriegsbrühe bleiben Sie mir vom Leib. Und nehmen Sie die Mokkamaschine, nicht Ihr komisches Filterzeug.«
»Es ist nur …«
»Was?«
»Der Mokka, den Sie mir zukommen lassen, ist nicht gemahlen.«
»Und?«
»Hier gibt es keine Mühle.«
»Dann nehmen Sie den Mörser, Mann! Sowas werden Sie doch wohl haben, das ist ja schließlich ein Labor hier. Und lassen Sie Ihre weibischen Ränkespielchen mal endlich bleiben.«
Der Standartenführer beobachtete, wie Léon den Schrank öffnete. Auf dem obersten Regal standen ordentlich aufgereiht zwei oder drei Dutzend runde, schwarzweißrot bedruckte Kaffeedosen. Der Standartenführer seufzte und schüttelte den Kopf, dann verschränkte er
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