Léon und Louise: Roman (German Edition)
die Hände im Nacken und schaute über seine Stiefel hinweg aus dem Fenster.
Léon zerrieb eine Handvoll Kaffeebohnen im Mörser, füllte Wasser in den Kessel und das Kaffeepulver in den Trichtereinsatz, schraubte das Oberteil auf den Kessel und stellte die Kanne auf den Brenner, öffnete den Gashahn und riss ein Streichholz an, worauf das Gas sich mit einem leisen Knall entzündete. Während das Wasser sich erhitzte, legte er Untertassen, Tassen und Kaffeelöffel bereit und stellte die Zuckerdose auf den Schreibtisch. Und als das alles erledigt war und es nichts mehr zu tun gab, ging er ans zweite, vom Schreibtisch entferntere Fenster und schaute hinunter auf die Seine, die gleichmütig an der Île de la Cité vorüberzog wie vor hundert oder hunderttausend Jahren. Gelegentlich fühlte er Knochens Blick auf sich ruhen, und manchmal beobachtete er selbst den Standartenführer aus den Augenwinkeln. Es dauerte endlos lange, bis der Kaffee durchs Steigrohr blubberte.
Während Léon einschenkte, nahm Knochen die Stiefel vom Schreibtisch, legte sein Kinn in die rechte Hand und musterte Léon. Dann sagte er: »Le Gall, es täte mir leid um Sie. Es sind immer die Besten, die ungehorsam sind, das zeigt schon ein flüchtiger Blick in die Geschichte. Es ist der Ungehorsam, der die Besonderen vor den Gewöhnlichen auszeichnet, glauben Sie nicht auch? Aber leider leben wir beide nicht in der Historie, sondern hier und jetzt, und in der Gegenwart erscheint, was historisch womöglich bedeutsam sein wird, meist leider ziemlich banal. Wir sind nicht hier, um Geschichte zu machen, sondern um diese verdammten Karten zu kopieren. Und deshalb werden Sie mir jetzt gehorchen und keine Schreibfehler mehr machen, und die verdammte Lampe bleibt hier auf Ihrem Schreibtisch stehen, und zwar genau an dieser Stelle und nirgendwo anders, und Sie werden Sie nicht mal um zehn Zentimeter verrücken, ohne mich vorgängig um Erlaubnis gebeten zu haben. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja.«
»Die Lampe ist von Siemens, Le Gall, gewöhnen Sie sich dran. Sie bleibt genau hier an diesem Ort, und Sie benützen sie auch. Sie schalten sie täglich ein, wenn Sie zur Arbeit kommen, und Sie schalten sie aus, wenn Sie nach Hause gehen. Verstanden?«
»Ja.«
»Gut. Und jetzt setzen Sie sich her und trinken Sie einen Mokka mit mir.«
»Wenn Sie es wünschen.«
»Jawohl, ich wünsche es. Und ich wünsche, dass Sie von nun an täglich Mokka trinken. Was haben Sie nur gegen Mokka? Schmeckt er Ihnen nicht?«
»Er ist gewiss ausgezeichnet.«
»Sie werden in nächster Zeit verflucht noch mal sehr viel Mokka trinken, Le Gall, Sie haben einiges nachzuholen. Übrigens lohnt sich der Aufstand nicht mehr, wir sind mit dem Abschreiben bald durch.«
Die zwei Männer tranken schweigend ihren Mokka, dann stand Knochen auf, nickte zum Abschied knapp und ging. Léon trug die Tassen zur Spüle, dann besann er sich und warf jene des Standartenführers in den Müll.
Drei Tage lang dachte Léon darüber nach, wie er sich den Mokka vom Hals schaffen sollte, ohne ihn trinken zu müssen. Die italienische Mokkakanne und seine Tasse ließ er ungewaschen neben dem Bunsenbrenner stehen, um jederzeit vorgeben zu können, dass er seinen täglichen Mokka schon getrunken habe; in Tat und Wahrheit aber trank er weiter seine hölzern schmeckende Kriegsbrühe.
Als am folgenden Montag wiederum die wöchentliche Viertelkilopackung Mokka auf seinem Tisch lag, steckte er sie in seine Mappe und trug sie abends nach Hause.
»Was ist das?«, fragte Yvonne.
»Deutscher Mokka, ich habe dir davon erzählt.«
»Schaff das Zeug aus dem Haus.«
»Willst du nicht …«
»Schaff’s weg, sage ich. Ich will es hier nicht haben.«
»Was soll ich deiner Meinung nach damit anfangen?«
»Geh in die Rue du Jour, hinter den Hallen. Dort gibt es eine Auberge du Beau Noir, da fragst du nach Monsieur Renaud. Der bringt dich zu einem Hutmacher in der Avenue Voltaire, und der wird dir einen guten Preis geben.«
»Was mache ich mit dem Geld?«
»Das brauchen wir nicht.«
»Ich nehme es mit ins Labor.«
»Stell etwas Gescheites damit an.«
»Mir wird schon was einfallen.«
»Sag mir nichts davon. Sprich mit niemandem darüber. Es ist besser, wenn keiner Bescheid weiß.«
Léon erhielt für das Viertelkilogramm Kaffee ein Bündel Banknoten, das fast der Hälfte seines monatlichen Salärs entsprach. Und da er in der Folge jeden Montag an die Avenue Voltaire fuhr und zuweilen, um den Überbestand
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