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Leonardos Drachen

Leonardos Drachen

Titel: Leonardos Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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Gesicht. „In eurer hochvornehmen Familie in Pisa hat wahrscheinlich eine Magd am Bratenspieß gestanden und ihn gedreht. Und vermutlichhat dir ein Hauslehrer das Schreiben und Rechnen beigebracht.“
    „Und sogar etwas Latein!“, trumpfte Clarissa auf. „Obwohl ich damit sicherlich nie etwas anfangen kann, wenn ich nicht gerade Nonne werden und ins Kloster eintreten will.“
    „Es ist halt nicht jeder mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden, wie das bei dir der Fall zu sein scheint“, gab Leonardo etwas ärgerlich zurück.
    Jetzt wurde auch Clarissas Gesicht etwas finsterer.
    „Dafür leben meine Eltern nicht mehr“, stellte sie mit tonloserer, plötzlich etwas heiserer Stimme fest. „Und nun muss ich dankbar dafür sein, wenn irgendwelche Verwandten mich eine Weile bei sich wohnen lassen.“
    Sie schwiegen einige Augenblicke. Leonardo begann, seine Zeichnungen aufeinanderzulegen und sie dann zusammenzurollen.
    „Es war nicht so gemeint“, sagte Leonardo schließlich.
    „Was ist eigentlich mit deiner Mutter?“, fragte Clarissa daraufhin. „Du hast nie etwas von ihr erzählt, sondern immer nur von deinem Großvater. Ist sie auch gestorben?“
    „Nein. Mein Vater hat sie nie geheiratet. Sie wurde die Frau eines Bauern im Dorf, der auch noch eine Töpferei betrieb. Sie haben fünf Kinder bekommen und deshalb war für mich dort kein Platz. Deswegen habe ich bei meinem Großvater gelebt. Mein Vater hat seine erste Frau geheiratet, die dann ziemlich schnell gestorben ist. Irgendwie war ich wohl einer,der einfach übrig geblieben ist und für den eben nirgendwo richtig Platz war.“
    „Na, immerhin scheint sich das für dich ja nun zumindest geändert zu haben!“
    „Mal sehen“, murmelte Leonardo. „Ich wäre gern in Vinci geblieben, denn ich hatte da gute Freunde. Aber leider kann ich es mir ja nicht aussuchen.“
    Clarissa sah sich noch etwas um. Leonardo fand sie ziemlich neugierig. Sie hatte ihn zuvor schon ein paarmal nach seiner Mutter gefragt, aber er hatte ihr bisher darauf keine Antwort gegeben.
    Sie stand nun am Fenster und sah hinaus. Dann bildete sie mit der Hand einen Schirm über die Augen, um besser durch die spiegelnde Scheibe in die Dunkelheit sehen zu können.
    „Was ist da?“, fragte Leonardo.
    „Da steht ein Mann auf der anderen Straßenseite. Der scheint das Haus zu beobachten.“
    Leonardo kam zu ihr, stellte sich ebenfalls ans Fenster und sah hinaus. Der Mann trug einen Mantel mit Kapuze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte, sodass es nicht zu erkennen war. Gegen den Lichtschein, der aus den benachbarten Häusern drang, wirkte er wie ein dunkler Schatten. Nur eine Einzelheit konnte Leonardo erkennen: die Stiefelspitzen!
    Sie waren mit Metall beschlagen und blinkten kurz auf. Ein V-förmiges Stück war in ihnen ausgespart und blieb pechschwarz, auch wenn das Licht daraufschien.
    Aber dann schien der Mann im Kapuzenmantel bemerkt zu haben, dass Leonardo ihn anstarrte. Jedenfallstrat er etwas zurück und verschwand völlig in der Dunkelheit der Schatten.
    „Wer trägt Stiefel, deren Spitzen mit Eisen beschlagen sind?“, fragte Leonardo.
    Clarissa trat neben ihn. „Keine Ahnung. Landsknechte, Söldner, Stadtwachen, Ritter   … Ich schaue Leuten ehrlich gesagt nicht auf die Stiefel.“
    „Das war vielleicht einer der Männer, die auf uns aufpassen sollen“, meinte Leonardo. „Aber wer will das schon so genau wissen?“ Er wirkte plötzlich sehr nachdenklich. „Weißt du, ich habe heute schon die ganze Zeit darüber nachdenken müssen, wer wohl hinter dem Überfall auf den Stadtherrn steckt.“
    „Da kommen so viele infrage, Leonardo. Und was geht uns das überhaupt an! Die Stadtwache und die Männer der Medici werden das schon herausfinden.“
    Aber Leonardo ging auf Clarissas Bemerkung gar nicht ein. Er wollte einfach wissen, was dahintersteckte. Und wenn erst einmal eine offene Frage in ihm bohrte, dann setzte er alles daran, sie auch zu beantworten. Offene Fragen waren nahezu unerträglich für ihn, und jedes Rätsel forderte ihn heraus. Je größer das Geheimnis war, das die Sache umgab, desto neugieriger wurde er für gewöhnlich. Manchmal konnte er sich dann auf gar nichts anderes mehr konzentrieren. Nicht einmal auf die Konstruktion seiner Fantasiemaschinen.
    An diesem Abend hatte er das deutlich gemerkt. Andauernd waren ihm die Gedanken an den Überfall dazwischengespukt. Und nun, da Clarissa ihn darauf ansprach, sprudelte alles aus ihm heraus. Er

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