Leonardos Drachen
Kerzenlicht schimmerte. Darunter war das eng anliegende Wams mit den messingfarbenen Metallverschlüssen zu sehen. Einer der besten Schneider der Stadt hatte es ihm angepasst. Und auch ein neues Paar Schuhe hatte er sich geleistet. Sie waren sehr spitz und vorne etwas nach oben gebogen.
„Ich habe gesehen, dass bei dir noch Licht brennt“, sagte Ser Piero. „Und da ich noch dringend etwas mit dir besprechen muss, dachte ich mir, das erledige ich gleich.“
Leonardo freute sich schon. Wenn sein Vater jetzt, gleich nachdem er aus dem Palast kam, etwas mit ihm zu besprechen hatte, dann konnte es eigentlich nur um den Überfall gehen! „Vielleicht werde ich jetzt noch einiges Neues erfahren“, ging es dem Jungen durch den Kopf. Oder aber der Stadtherr hatte gleich eine Einladung in den Palast ausgesprochen, die Vater ihm jetztüberbringen sollte! Was auch immer von dem zutraf, es war sicherlich spannend und aufregend.
Aber Leonardo hatte sich leider geirrt.
Sein Vater wollte über etwas ganz anderes mit ihm sprechen. Etwas, das mit dem Überfall nicht das Geringste zu tun hatte.
Er sog zunächst die Luft ein und rümpfte die Nase. Dann meinte er: „Du hast wieder diese … Dinge gemacht“, stellte er fest. Mit Dinge meinte er natürlich Leonardos Experimente. „Zumindest riecht es so. Eigentlich sollte dir klar sein, dass du hier nicht einfach so weitermachen kannst wie im Haus deines Großvaters!“
„Leider!“, dachte Leonardo. Aber das sagte er nicht laut. Der Tod seines Großvaters war traurig genug. Leonardo hatte sehr an ihm gehangen und wäre gerne weiter bei ihm geblieben. Aber das war ja leider nicht mehr möglich.
Ser Piero warf einen Blick auf die Zeichnungen mit den Flugmaschinen. Auf seiner Stirn erschienen dabei ein paar tiefe Falten. „Es gefällt mir nicht, dass du den ganzen Tag über solchen Hirngespinsten brütest, mein Junge.“
„Das sind keine Hirngespinste“, erwiderte Leonardo. „Es sind Pläne! Pläne, die ich eines Tages in die Tat umsetzen möchte!“
„Nun, ich will mich nicht darüber streiten, ob Menschen fliegen können sollten oder nicht. Aber ich finde, dass es dringend Zeit wird, dass du den Tag mit etwas Sinnvollem verbringst! Und da du selbst gesagt hast,dass du nicht mehr in eine Schule gehen willst, ist es wohl das Beste, du machst eine Ausbildung.“
„Nun, ich weiß nicht, ob dies der richtige Zeitpunkt ist, um …“
„Doch, das ist der richtige Zeitpunkt! Und falls nicht, dann ist er allenfalls zu spät und wir sollten dringend nachholen, was bisher an dir versäumt worden ist.“ Ser Piero atmete tief durch. „Wir werden noch einmal mit Andrea 1 del Verrocchio sprechen! Er wird dich jetzt vielleicht nehmen, obwohl du mit deinen dreizehn Jahren immer noch ein Jahr jünger als sein jüngster Lehrling bist.“
Vor drei Jahren hatte sein Vater Leonardo schon einmal in der Malerwerkstatt von Andrea del Verrocchio vorgestellt. Aber damals war Leonardo dem Meistermaler, der vor allem Porträtgemälde für reiche Kaufleute herstellte, einfach noch zu jung gewesen.
Vor drei Jahren hatte sich Leonardo für eine Weile sehr stark für Malerei interessiert und sich bei einem Farbenmischer angesehen, wie man selbst Farbstoffe herstellen konnte, mit denen man anschließend die Leinwand füllte. Aber inzwischen war er sich schon längst nicht mehr so ganz sicher, ob die Malerei wirklich das Gebiet war, das ihn so sehr interessierte, dass er sich auch darin ausbilden lassen wollte.
„Ich weiß nicht, Vater, vielleicht sollte ich damit noch etwas warten und ich bin wirklich zu jung, um bei einem Meistermaler anzufangen. Seine Werkstattist ja auch in der Bildhauerei tätig und für diese schweren Hämmer und Meißel, mit denen man die Steinblöcke bearbeitet, sollte man vielleicht auch schon etwas kräftiger sein.“
„Das sind alles Ausreden“, widersprach Vater. „Als du zehn warst, hätte dich das nicht gestört. Und außerdem ist Andrea del Verrocchio in erster Linie Meister einer Malerwerkstatt! Er wird schon wissen, wann du stark genug bist, um dich mit Steinen oder gar mit dem Gießen von Bronzefiguren zu beschäftigen. Da mach dir mal keine Sorgen! Und morgen früh ziehst du deine besten Sachen an. Dann gehen wir nämlich zu Meister Andrea und reden mit ihm.“
„Aber …“
„Kein Aber! Im Moment ist im Medici-Palast der Teufel los und ich werde wenig Zeit haben. Aber unser Stadtherr leidet schwer unter Gicht. Deswegen schmerzen ihm die
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