Leonardos Drachen
einen angemessenen Anzug schneidern zu lassen, damit man im Palast nicht wie ein Bettler aussieht, als Dienstboten anzustellen!“, hatte Ser Piero mal zu seinem Sohn gesagt, als Leonardo ihn darauf angesprochen hatte. „Warum soll ich mir das also nicht leisten?“
Insgeheim hatte Leonardo jedoch den Verdacht, dass sich selbst ein so vielbeschäftigter Notar wie Ser Piero das nur deshalb leisten konnte, weil seine junge Frau aus einer so angesehenen und reichen Familie stammte und ein großes Vermögen mit in die Ehe gebracht hatte.
„Ja, deck schon mal den Tisch“, meinte Melina.
„Euer Mann ist aber noch nicht aus dem Palast zurück.“
„Er wird heute länger bleiben und sicher dort speisen“, sagte Melina. Sie wirkte auf einmal sehr ernst. Sie wandte sich an Leonardo. „Vor einer Stunde kam ein Bote aus dem Medici-Palast hier vorbei. Anna hatte ich noch mal zum Markt geschickt, um noch etwas Salz zu kaufen, deshalb weiß sie noch nichts davon …“
„Wovon?“, fragte Leonardo.
„Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht so genau. Aber es muss wohl irgendetwas Schreckliches geschehen sein! Der Bote sprach von einem Attentat auf Piero de’ Medici und jetzt würde eben im Palast darüber beratschlagt, was nun zu tun sei.“
„Ich verstehe“, meinte Leonardo, obwohl das nur zum Teil zutraf.
„Der Bote hat auch gesagt, dass alle, die irgendwie mit Piero de’ Medici zu tun haben, im Augenblick besser zu Hause bleiben. Es ist zu gefährlich da draußen und niemand weiß, ob es die Mörder nicht auch auf die Anhänger der Medici und ihre Familien abgesehen haben! Dein Vater ist im Palast ein wichtiger Mann geworden und das bedeutet, dass sich die Gegner des Stadtherrn auch gegen ihn richten könnten. Selbst gegen uns, seine Familie!“
„Mein Vater ist nur ein Notar – er schreibt Verträge und Dokumente für seinen Herrn auf. Das ist alles“, erwiderte Leonardo. „Und er würde das für jeden tun.“
„Ich sage nur, dass wir die Augen offen halten und aufpassen müssen“, erwiderte Melina. „Angst machen wollte ich niemandem von euch. Aber wir sollten alle vorsichtig sein. Übrigens hat der Bote auch gesagt, dass ab und zu ein Söldner der Medici bei uns nach dem Rechten schaut. Und außerdem werden überall in Florenz die Patrouillen der Nachtwächter verstärkt.“
„Egal, wer dahintersteckt, ich glaube nicht, dass hier in der Stadt für irgendwen eine Gefahr besteht“, meinte Leonardo. „Die Attentäter haben sich schließlich in einen Hinterhalt gelegt und darauf gewartet, dass Piero de’ Medici die Mauern der Stadt hinter sich lässt.“
Leonardo hatte halb zu sich selbst und halb zu Clarissa gesprochen. Auf seine Stiefmutter hatte er gar nicht weiter geachtet. Diese wirkte jetzt ziemlich irritiert. Sie hob verwundert die Augenbrauen. „Woher willst du denn wissen, wo der Überfall stattgefunden hat?“, fragte sie.
„Oh, hattest du das nicht gerade erwähnt?“
„Ganz sicher nicht!“
„Dann erzählen wohl die Leute auf der Straße schon davon und ich habe das verwechselt“, meinte Leonardo.
„Oder …“, begann Melina, aber sie kam nicht dazu weiterzusprechen, denn in diesem Moment forderte der Braten ihre volle Aufmerksamkeit. Der Bratenwender hatte nämlich schon vor einigen Augenblicken aufgehört, sich zu drehen, und jetzt begann es bereits, eigenartig zu riechen. „Oh nein!“, stieß Melina hervor.Sie gab dem Bratenwender einen Stoß, woraufhin sich die Flügel weiterdrehten. Aber der Braten hatte jetzt eine schwarze, angerußte Stelle. „Das hätte nun wirklich nicht sein müssen!“, zeterte Melina, und Leonardo war ganz froh darüber, dass sie auf das Thema des Überfalls auf den Stadtherrn nicht mehr zurückkam.
W ährend des Essens redeten sie nicht viel. Und wenn doch etwas gesagt wurde, war es zumeist Melina, die sprach. Sie wandte sich an Clarissa und berichtete ihr, dass sie einen Brief an einen reichen Verwandten in Mailand verfasst hatte. „Du weißt ja, dass dein Aufenthalt in diesem Haus nur vorübergehend ist“, meinte sie.
„Ja, das ist mir schon klar“, nickte Clarissa.
Ihr Gesicht wurde dabei ziemlich traurig. Leonardo hatte das schon des Öfteren bei ihr beobachtet, und zwar immer dann, wenn sie etwas an ihre verstorbenen Eltern erinnerte. Und das war regelmäßig dann der Fall, wenn Melina über ihre Zukunft sprach und darüber, wo sie am besten endgültig leben sollte.
Leonardo konnte das gut verstehen, denn er empfand
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