Leonardos Drachen
Meister Andrea, nachdem er fertig war. „Denn das, was dir Perugino und Botticelli über die Nase erzählten, trifft schon zu! Salvatore Vespucci ist ein sehr schwieriger Kunde – aber das war schon bei seinem Vater so. Die Meckerei und der Hang zu schnellem Beleidigtsein scheinen im Haus Vespucci erblich zu sein!“
Das Gesicht von Salvatore Vespucci war sehr ausdrucksstark geworden. Ohne Zweifel, Andrea del Verrocchio war ein Meistermaler! Leonardo konnte nicht anders, als dieses Werk zu bewundern. Schließlich hatte er selbst lange genug versucht, sich in der Darstellung von Gesichtern zu perfektionieren. Darum wusste ernur zu gut, wie schwierig es war. Und jetzt fiel ihm auch sehr deutlich auf, wie viel er noch zu lernen hatte, bis er an diese Perfektion herankommen konnte.
„Schön!“, murmelte Leonardo ganz versonnen.
Es war einer der ersten Momente seit Langem, in dem er nicht über den Überfall auf den Herrn de’ Medici und die Frage, wer vielleicht dahintersteckte, denken musste. „Man könnte meinen, dass Salvatore Vespucci einen aus dem Bild heraus geradewegs ansieht!“, stellte der Junge fest.
„Genauso muss es sein!“, erklärte Andrea. „Der Blick des Betrachters muss gefangen genommen werden und er soll glauben, einen wirklich atmenden Menschen vor sich zu haben, von dem man das Gefühl hat, dass er sich jeden Augenblick von der Leinwand lösen und in die Welt hinaustreten könnte.“
„Ja, das ist wahr!“
„Darum sind die Kleinigkeiten und Details so wichtig. Alles, was die Persönlichkeit dieses Herrn darstellt! Seinen Charakter, den es nur ein einziges Mal unter all den unzähligen Menschen auf der Welt gibt! Die Zeiten, in der man Gesichter malen konnte, die wie ein Ei dem anderen glichen, sind vorbei!“
„Es scheint, als hättet Ihr ein Stück seiner Seele eingefangen“, meinte Leonardo.
Aber Meister Andrea machte eine wegwerfende Handbewegung. Davon wollte er nichts hören. „Lass die Schmeichelei gegenüber deinem Lehrherrn! Du kannst jetzt noch rechts und links ein paar Wolken an den Himmel klatschen. Aber nicht so grobes Zeug wieunser Fässchen das immer gerne macht, sodass man denkt, dass jeden Moment Blitze aus dem Bild herausschießen werden und es ein Gewitter gibt.“
L eonardo ging nun jeden Tag, außer am Sonntag, in die Werkstatt von Meister Andrea. Nach einer Woche durfte der neue Lehrling bereits ein erstes Gesicht in ein Gemälde hineinmalen, auf dem eine Gruppe von Menschen dargestellt war, die Jesus umringten, um seinen Worten zu lauschen. Es war ein Bild, das für eine Kirche in Empoli bestimmt war. Da Meister Andrea Leonardos Arbeit gefiel, durfte er schließlich die Gesichter der Jünger von Jesus gestalten. „Werd aber nicht eingebildet deswegen! Diese Gesichter kannst du dir ausdenken, das ist etwas anderes, als wenn man einen Menschen malen muss, den jeder kennt und der auf dem Bild wiedererkannt werden soll.“ Er deutete auf den bereits von Botticelli gemalten Jünger Petrus, an dem, wie bei den anderen auch, nur noch der Kopf fehlte. „Den da lässt du aber bitte aus.“
„Wieso? Ein Petrus ist doch auch nicht schwieriger zu malen als ein Jesus oder wer auch sonst immer.“
„Dieser Petrus schon. Er wird nämlich das Gesicht von Ricardo Pazzi bekommen. Er wird mir morgen dafür Modell sitzen.“
Ricardo Pazzi war ein wohlhabender Kaufmann in Florenz. Seine Familie stand immer in Konkurrenz zu den Medici und war beinahe genauso reich. Er war so bekannt, dass auch Leonardo seinen Namen schon gehört hatte.
Dass reiche Kaufleute ihre Gesichter in Kirchengemälde hineinmalen ließen, kam gar nicht so selten vor. Für einen Kaufmann bedeutete es die beste Werbung, wenn er auf so einem Gemälde zum Beispiel als Jünger Jesu dargestellt wurde. Jeder glaubte dann, dass er ein gottesfürchtiger, frommer Mann war, der seine Kunden nicht betrog, keine falschen Gewichte verwendete und gute Ware lieferte. Für die Abbildung auf einem Gemälde, das in eine Kirche gehängt oder sogar auf die Wände gemalt wurde, zahlte der Betreffende sowohl an die Kirche als auch an den Künstler einen Zusatzbetrag. Leonardo konnte sich daher gut vorstellen, wie wichtig es für Meister Andrea war, dass Ricardo Pazzi mit ihm zufrieden war, zumal davon ganz bestimmt auch weitere Aufträge für die Malerwerkstatt abhingen.
Dass Meister Andrea dieses Gesicht unbedingt selbst malen wollte, lag also auf der Hand.
E s war einen Tag später, als Salvatore Vespucci
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