Leonardos Drachen
in die Werkstatt kam, um sich sein Gemälde abzuholen.
Leonardo war dem Kaufmann zuvor ja noch nie begegnet – aber nun erschrak er beinahe, als er sah, wie treffend Meister Andrea ihn gemalt hatte.
Salvatore Vespucci kam nicht allein in die Werkstatt. Bei ihm war ein Junge, der ungefähr Leonardos Alter hatte. Er wirkte recht schmächtig, hatte dafür aber eine wallende Lockenpracht. Das Haar fiel ihm bis weit über die Schultern.
„Das ist mein Sohn Amerigo“, erklärte Salvatore Vespucci. „Und da mir Euer Bild gefällt, MeisterAndrea, möchte ich, dass Ihr auch eines von ihm anfertigt!“
„Aber gerne, werter Herr“, sagte Andrea.
Salvatore Vespucci wandte sich an Leonardo. „Was schaust du mir andauernd auf die Füße, Junge?“, fragte er barsch.
„Ich bewundere Eure Stiefel“, sagte Leonardo. „Ich nehme an, das V steht für Vespucci.“
„So ist es.“
Zwei Träger kamen jetzt herein, um das Gemälde mitzunehmen. Leonardo sah, dass auch sie Stiefel mit dem V-Zeichen an der Spitze trugen. Nur waren sie schon etwas abgeschabter und die Metallbeschläge hatten Kratzer.
Außerdem trugen die Träger die Livree des Hauses Vespucci: blau-weiß gestreifte Hemden unter einer dunklen Weste. Nur die ganz Reichen konnten es sich leisten, ihre Dienerschaft mit Uniformen zu versehen. Ob die Vespucci nun wirklich dazugehörten oder nicht, wusste Leonardo nicht so genau. Eigentlich wäre ihm die Familie dann besser bekannt gewesen. Aber auf jeden Fall wollte Salvatore nach außen hin zeigen, dass er es sich leisten konnte, seine Leute auf diese Weise auszustatten.
Leonardo sah auch die Leibwächter vor der Tür, die dieselbe Uniform trugen. Allerdings waren sie mit Harnischen ausgerüstet.
„Wie ich sehe, tragen alle Eure Männer solche Stiefel“, stellte Leonardo fest.
„Ich lege viel Wert auf äußere Ordnung“, sagte Salvatore. „Und wie sieht das aus, wenn jeder Diener undjeder Wächter etwas anderes trägt! Ein unharmonisches Durcheinander!“
Der Kaufmann unterhielt sich noch etwas mit Meister Andrea und zählte dann die Silberstücke ab, die das Bild kosten sollte. „Habt Ihr schon von diesem Überfall auf den Stadtherren gehört?“, fragte Salvatore. „Angeblich tappen die Medici immer noch im Dunkeln, wer wohl dahinterstecken mag … Es gibt ja wirklich genug unter den ehrenwerten Familien, die es leid sind, dass sie von den Medici bevormundet werden. Wir haben ja schließlich eigentlich eine Republik, doch inzwischen herrschen die Medici fast wie Fürsten! Und die Vertreter der ehrenwerten Familien im Senat haben nichts mehr zu sagen, weil sowieso alles nach dem Willen des Stadtherrn geschieht! Das ist nicht meine Meinung – aber so reden viele!“
Meister Andrea machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, ich verfolge das öffentliche Leben nicht so sehr, dass ich dazu eine Meinung haben dürfte! Wisst Ihr, ich komme vor lauter Malerei gar nicht dazu. Nicht einmal die neuesten Gerüchte bekomme ich noch mit, also müsst Ihr schon entschuldigen.“
„Es riecht ein bisschen nach einem bevorstehenden Umsturz! Männer mit Hakenbüchsen sollen auf den Herrn de’ Medici gelauert haben. Ein Junge hat ihn wohl gerettet. Der müsste die Kerle doch eigentlich wiedererkennen können, wenn er ihnen Auge in Auge gegenüberstünde!“
E igentlich hätte Leonardo diesem Gespräch gerne noch etwas zugehört, denn vielleicht konnte er so noch mehr erfahren. Schließlich stand jetzt ja fest, dass wohl einer von Salvatores Männern das Haus von Leonardos Vater beobachtet hatte. Doch nun sprach Amerigo den Jungen aus Vinci an. „Hast du auch schon davon gehört? Ein Junge, der nicht älter ist als wir, soll dem Stadtherrn das Leben gerettet haben!“
„So?“, fragte Leonardo.
„Ja, davon wird überall geredet! Meine Güte – so jung und schon ein Held.“
„Beneidenswert“, murmelte Leonardo, der natürlich nicht im Traum daran dachte, jetzt zu offenbaren, dass er dieser Junge gewesen war. Im Übrigen hätte das auch wohl ziemlich angeberisch geklungen.
„Also ehrlich gesagt, ich möchte trotz allem nicht in der Haut dieses Kerls stecken!“, meinte Amerigo.
„Wieso nicht?“
„Weil er die Täter doch wahrscheinlich gesehen hat und vielleicht sogar wiedererkennen könnte!“
„Das ist nicht gesagt“, widersprach Leonardo und biss sich gleich im nächsten Moment auf die Lippen. „Besser kein Wort zu viel sagen!“, ging es ihm durch den Kopf. Sonst verplapperte er sich
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