Leonardos Drachen
unserer Werkstatt haben will, dann will er es zumeist möglichst sofort mit nach Hause nehmen und an die Wand hängen. Unsere Kunden sind ungeduldig und deshalb arbeiten wir dannmanchmal rund um die Uhr an einem Bild, bis ich schließlich meine Signatur an den Rand kritzeln kann, damit jeder sieht, aus wessen Werkstatt das Werk stammt.“
„Er kann durchaus schnell arbeiten“, behauptete Ser Piero und stieß seinen Sohn leicht an, damit der von seiner Schnelligkeit auch etwas zeigte.
Leonardo ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen.
Aber schon nach wenigen Strichen war das Gesicht von Botticelli erkennbar.
„Das reicht!“, meinte Meister Andrea. „Du sollst hier schließlich keine Lehrjungen porträtieren, sondern die Leute, die dafür viel Geld bezahlen.“
„So wie der Mann ohne Kopf da vorne“, stellte Leonardo fest und streckte die Hand aus. „Wer ist das?“
„Ein reicher Schnösel!“, schimpfte Meister Andrea. „Sohn eines reichen Kaufmanns, der demnächst seine erste Stellung bei der Bank der Familie Medici antritt. Und da will der Herr Papa, dass sein Sohn in Festtagskleidung für die Nachwelt festgehalten wird.“ Meister Andrea legte einen Arm um Leonardos Schultern und führte ihn mit sich. Sein Tonfall veränderte sich nun ein wenig. Er wurde sanfter, freundlicher und weniger abweisend. „Dir ist vielleicht schon aufgefallen, dass es hier einige Gemälde gibt, auf denen die Köpfe fehlen. Sie sind fast fertig, nur hier und da ist eben noch nicht der Kopf auf den Schultern.“
„Das ist mir in der Tat aufgefallen, Meister Andrea. Aber um noch einmal auf den Mann da vorne zurückzukommen …“
„Vergiss den Kaufmannssohn! Er ist weder der einzige noch der wichtigste Kopf, der hier noch fehlt. Ich gebe es ungern zu, aber einer meiner Gesellen hat mich im Stich gelassen! Stell dir vor, er ist einfach zur Konkurrenz gegangen und arbeitet jetzt für Meister Lippi in Prato – keine zehn Meilen von hier. Der zahlt ihm das Doppelte und ich stehe jetzt ohne einen anständigen Gesichtermaler da!“ Meister Andrea schüttelte den Kopf und deutete auf Botticelli. „Sandro Botticelli, das Fässchen, ein Gesichtermaler wird der nie – aber seine Wolken sind annehmbar. Weißt du, hier hat jeder sein Spezialgebiet, Leonardo. Und im Moment brauche ich jemanden, bei dem ich zumindest die Möglichkeit sehe, dass er lernt, wie man Gesichter malt.“
„Es freut mich, dass Ihr so von meinen Fähigkeiten überzeugt seid, und ich werde versuchen, mich würdig zu erweisen“, sagte Leonardo.
„Das möchte ich dir auch geraten haben!“
„Allerdings stelle ich eine Bedingung, bevor ich die Malerlehre bei Euch beginne, werter Meister Andrea.“ Leonardo sagte dies mit glasklarer Stimme und auf eine Weise, die so bestimmt und entschlossen wirkte, dass Botticelli und Perugino der Mund offen stand. Aber auch Meister Andrea konnte im ersten Moment gar nichts sagen – und Ser Piero stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Leonardos Vater verdrehte verzweifelt die Augen. Er schien wohl anzunehmen, dass sein Sohn nun endgültig jede Chance verspielt hatte, ein Schüler des großen Andrea del Verrocchio zu werden.
Dessen Augen wurden schmal wie die einer Katze, bevor sie zum Sprung auf eine Maus ansetzt.
„Das hat Leonardo gewiss nicht so gemeint“, versicherte Ser Piero, aber Meister Andrea brachte den Notar mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Oh doch, ich glaube, er hat es genau so gemeint, wie er es gesagt hat.“
„Nein, nein, Ihr dürft das nicht missverstehen!“
„Genug!“, unterbrach ihn Meister Andrea ziemlich ärgerlich. „Ich möchte aus dem Mund Eures Sohnes hören, was für eine Bedingung er mir stellt!“
„Nun, ganz einfach“, sagte Leonardo. „Ihr müsst mir für den Fall freigeben, dass ich einer Einladung des Stadtherrn folge.“
Meister Andrea schien im ersten Moment wohl anzunehmen, dass er sich verhört hatte. Zumindest machte er ein entsprechend verwundertes Gesicht. Ein paar Augenblicke stand er fassungslos da, und seine Augen schienen dabei immer größer zu werden. Dann platzte ein lautes Gelächter aus ihm heraus. „Du erwartest eine Audienz beim Stadtherrn, unserem ehrenwerten Herrn Piero de’ Medici?“
„Ich erwarte nichts, sondern ich möchte in diesem Fall, mag er nun unwahrscheinlich erscheinen oder nicht, freibekommen. Und zwar ganz gleich, was auch immer an Arbeit anstehen mag!“
„Tja, das Wort
unwahrscheinlich
trifft es schon ziemlich
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