Leonardos Liebesbiss
wollte.
»Schaffst du das?«
Sie schaute zu mir hoch. Zum erstenmal sah ich einen gelösten Ausdruck in ihrem Gesicht. »Ja, John, das schaffe ich. Bisher habe ich alles mit dir geschafft.« Sie faßte mich in Höhe des Ellbogens an. »Komm, wir warten eine Lücke ab und…«
Genau da passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Ich hatte nach der Blutsaugerin Ausschau gehalten. Das konnte ich vergessen, denn in diesem Augenblick fiel die gesamte Elektrik aus. Keine Tür öffnete sich mehr. Die Gondeln standen still, und eine tiefe Dunkelheit senkte sich wie ein apokalyptisches Omen über das Innere der Geisterbahn…
Leo Frost stand eingeklemmt in einem kleinen Raum. Hier gab es keine Maschinen, dafür war hier das elektrische Herz der Geisterbahn untergebracht.
Er schwitzte. Er spürte die innere Hitze, die immer wieder und immer stärker in ihm hochwallte, als wollte sie seinen Kopf auseinandersprengen.
Frost kannte die Anzeichen genau. Sein Dasein als Mensch und Albino schwand dahin. Die Zeit der Verwandlung war gekommen. Der alte Fluch ließ sich nicht aufhalten.
Kräfte durchströmten ihn, die schon in Urzeiten ihre Geburt erlebt hatten, als es auf der Erde noch wüst und leer gewesen war, wie die Bibel schon schrieb.
Aber es hatte schon etwas gegeben damals. Zwar keine Menschen, jedoch andere Kreaturen, und genau das war der richtige Begriff. Die Kreaturen der Finsternis. Die ältesten Dämonen, die nicht zerstört worden waren, sondern sich nur verändert hatten. Sie hatten ihre wahre Gestalt behalten und trotzdem eine andere angenommen.
So war Leo zu einem Albino geworden, während er in alter Zeit das Dasein eines Blutsaugers gefristet hatte.
Nun kehrte er zurück.
Wuchtig, brutal, mit aller Macht. So wie er es noch nie erlebt hatte und auch unter Qualen.
Es war ihm nicht mehr möglich, auf der Stelle stehenzubleiben. Die andere Kraft trieb ihn hin und her, und so taumelte er durch den engen Raum von Wand zu Wand.
Er wußte, was mit ihm passierte. Seine helle Haut verschwand. Sie erhielt einen viel dunkleren Farbton, der schon mehr an alte Baumrinde erinnerte. Er konnte sich nicht dagegen wehren, weil es sein Schicksal war, aber er wollte es auch nicht. Da mußte er durch. Er mußte sich und seine beiden Lebensformen akzeptieren, auch wenn die Verwandlung diesmal mit Schmerzen verbunden war.
Schmerzen, wie er sie noch nie erlebt hatte. Seine Arme und Beine spannten sich. Die Haut schien ihm bei lebendigem Leib abgerissen zu werden, um Wunden zu hinterlassen, in die dann eine starke Säure gekippt wurde.
Sein Mund war verschwunden. Es gab nur ein schreckliches Maul, aus dem die Vampirzähne hervorstachen, aber auch sie hatten sich in wahre Reißzähne verwandelt.
Aus der Kehle drangen unartikulierte Geräusche hervor. Ein wildes Keuchen, Stöhnen, Schreien und Fluchen. Er hatte den Überblick verloren. Seine Hände, die inzwischen zu Krallen geworden waren, fuhren hoch zum Kopf. Er wollte sich die Haare raufen, die nicht mehr vorhanden waren. Statt dessen patschte er in eine schmierige und glitschige Masse hinein, und er wußte jetzt endgültig, daß er sich in einen Vampir verwandelt hatte, der anders aussah als der, den er kannte.
Ein breites Maul, ein breiter Mund mit Säbelzähnen. Eine breite lange Zunge, dickere Beine und Arme, die in Pranken endeten. Sie wiederum wirbelten auf und nieder. Er schlug damit um sich und hämmerte in die sensible Elektrik hinein. Er zerstörte den Schutz. Seine Klauen bissen in die technische Seele, bis plötzlich die Funken ihn in einem wahren Wirbel umfegten.
Für einen kurzen Moment war der kleine Raum von künstlichem Licht erhellt. Dann fiel es zusammen. Nicht nur an dieser Stelle. Leo Frost wußte, daß nichts mehr ging in der Geisterbahn. Daß die Finsternis ihre Herrschaft angetreten hatte, und daß die, die sich im Innern befanden, nicht mehr herauskommen würden.
Sie mußten bleiben.
Und sie alle waren seine potentiellen Opfer…
Suko war in die Geisterbahn gefahren und wußte nicht, ob er das Richtige getan hatte. Er war mit John Sinclair verabredet gewesen, aber sein Freund war nicht gekommen, und so ging der Inspektor davon aus, daß er sich noch in diesem Gebiet aufhielt.
Es war ihm schon besser gegangen. Er kam sich vor wie jemand, der auf dem elektrischen Stuhl sitzt und darauf wartet, daß der Henker den Hebel für den Strom umlegt.
Was ihm da an Attraktionen in den Weg kam, nahm er nicht oder kaum zur Kenntnis. Er ließ sich
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