Leonardos Liebesbiss
seinem Körper hatten sich die beiden Seiten noch nicht entschieden, wer die Führung übernehmen sollte. Es gab Kämpfe zwischen ihnen, doch der Schausteller konnte davon nur profitieren.
Man hatte ihn gereizt. Man hatte ihn bis auf den Punkt gereizt. Die Dinge waren ihm aus den Händen genommen worden, und man hatte ihn praktisch gezwungen, zu reagieren. Genau das hatte er jetzt getan. Er würde keine Rücksicht kennen und dabei wie eine Gestalt aus der Hölle in die Phalanx der Menschen einbrechen. Die Geisterbahn gehörte ihm, nun jedoch gehörte sie ihm auf eine besondere Art und Weise. Alle waren seine Gefangenen, und er war gierig darauf, den Blutrausch erleben zu können.
Auch seine Braut brauchte sich nicht mehr zu tarnen. Kein Versteckspiel mehr. Zubeißen. Blut trinken. Es genießen, und nicht nur bei einem Menschen, sondern bei unzähligen.
Leo Frost war eine Mischung. Er fühlte sich als Vampir und als die Kreatur der Finsternis. Er war mit besonderen Gaben ausgestattet. Dazu zählte auch, daß er in der Dunkelheit sehen konnte wie andere Menschen am hellichten Tag.
Es gab keine Energie mehr, die hier so wichtig war, um das Innere der Geisterbahn mit Leben zu erfüllen. Es war alles tot, aber nicht still. Die Dinge standen. Sie bewegten sich keinen Zentimeter vom Fleck. Es war aus.
Er lachte. Mit sicheren Bewegungen hatte er sich dem eigentlichen Zentrum genähert. Er wollte nicht hoch in die obere Ebene. Für ihn war die untere Etage das Jagdrevier. Und es kam ihm darauf an, einen bestimmten Menschen auszuschalten.
Er haßt den Chinesen. Diesen verfluchten Polizisten, der keine Furcht vor ihm gezeigt hatte. Leo wollte ihn vernichten, denn er stufte ihn als gefährlich ein. Dieser Mann kannte sich aus. Das hatte Leo gespürt. Er besaß einen gewissen Instinkt, genau die Person herauszufinden, die für ihn wichtig war, und so wußte Leo, daß ihm dieser Polizist mißtraute.
Er wollte ihn haben.
Die anderen Menschen interessierten ihn nicht so sehr. Sie kamen erst an zweiter Stelle. Wichtiger war der Bulle.
ln der eigenen Geisterbahn war Leo der Chef. Es existierte kein Fußbreit Boden, der ihm unbekannt war. Jede Figur, jeden Nagel, jede Schiene, es gab nichts, was ihn in der eigenen Geisterbahn noch hätte überraschen können.
Der Polizist war praktisch von Leo in die Bahn geschickt worden. Und Leo rechnete sich aus, wo ungefähr seine Gondel gestoppt hatte, nachdem die Elektrik ausgefallen war. Weit konnte er nicht sein. Er hoffte, daß sie sich noch über dem Wasser befand. Da waren auch seine Fluchtchancen begrenzt.
Nein, es gab kein Licht mehr. Keine Notbeleuchtung, hier war alles ausgefallen, und in dieser tiefen Dunkelheit saßen die Fahrgäste. Er sah sie, sie sahen ihn nicht. Er hörte sie auch, denn der erste Schock war vorbei.
Leo lächelte, als er über ihre Reaktionen nachdachte. Es war nicht zu einer wilden Panik gekommen. Keiner hatte bisher durchgedreht. Dafür gab es ebenfalls einen Grund.
Der Schock saß einfach zu tief. Wahrscheinlich konnte niemand begreifen, was da passiert war. Das ging ihnen gegen den Strich. Sie kamen da einfach nicht mit. Vielleicht glaubten die meisten an einen Scherz, an einen außergewöhnlichen Gag, der dieser Geisterbahn den besonderen Kick gab. Aber tief in ihrem Innern schienen die Menschen auch zu spüren, daß dem nicht so war und die Dinge anders liefen. Sie waren sensibel genug, um zu merken, daß sich da etwas zusammenbraute, das mit schleichenden Schritten auf sie zukam. Dieses unsichtbare Grauen in der Dunkelheit, vor dem sich jeder Mensch fürchtete, selbst der größte Held.
Leo Frost erreichte den Rand des Beckens. Er schaute über das Wasser und sah die Gondeln, die sich nicht von der Stelle rührten. Sie standen auf den Schienen wie festgehakt. Eine hinter der anderen.
Er würde in das Wasser steigen und die Gondel suchen, in der dieser Chinese saß. Die Vorfreude, diesen Mann zu töten, erfaßte ihn schon jetzt wie ein Rausch. Leo mußte sich zwingen, ruhig zu bleiben. Er kletterte auf den schmalen Rand des Beckens und ließ sich von dort ins Wasser gleiten…
***
Suko war klar, was die plötzliche Dunkelheit zu bedeuten hatte. Ein Ausfall der Energie, aber nicht durch einen Fehler, sondern bewußt herbeigeführt. Da gab es nur einen, der dafür in Frage kam.
Suko hatte Leo unterschätzt, das gab er jetzt zu. Er hatte damit gerechnet, wieder aus der Bahn fahren zu können, aber dieser Albino schien den Braten gerochen zu
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