Leonardos Liebesbiss
Zwei überraschte Gesichter. Eine Hand, die gegen die Augen gehoben wurde. »He, da ist Licht!«
»Behalten Sie bitte die Ruhe!« rief Suko, damit er auch von den anderen gehört wurde. »Es wäre falsch, in Panik zu verfallen, und Sie sollten auch in den Gondeln bleiben.«
»He!« rief jemand. »Bist du einer von der Bahn? Kannst du sagen, was das hier für eine Scheiße ist?«
»Stromausfall.«
»Das wissen wir selbst.«
»Es wird irgendwann weitergehen, das weiß ich. Und jetzt hören Sie mir bitte zu. Was immer auch geschieht und mag es Ihnen noch so ungewöhnlich Vorkommen, tun Sie bitte nichts. Bleiben Sie in Ihren Gondeln. Überlassen Sie alles mir!«
»Was sollen wir dir denn überlassen?«
»Ich weiß es auch noch nicht genau«, antwortete Suko auf die Frage. »Aber dieser Stromausfall ist bewußt herbeigeführt worden. Es ist auch kein Gag. Dahinter steckt Methode. Unsere Lage kann gefährlich werden. Wenn Sie sich allerdings ruhig verhalten, werden wir die Dinge schon in den Griff bekommen.«
Aus dem Hintergrund rief jemand: »Was ist das denn für ein blöder Schwätzer?«
»Laß ihn doch, Rick!«
Da Suko nichts mehr sagte, blieben auch die anderen Fahrgäste relativ ruhig. Sie sprachen noch, aber sie redeten den Inspektor nicht mehr an. Darüber war Suko froh. So konnte er zum erstenmal seinen Plan in die Tat umsetzen und nach Leo Frost Ausschau halten.
Das große Becken war als Kreis angelegt worden. Frost standen verschiedene Richtungen zur Verfügung, aus denen er sich den Gondeln nähern konnte.
Suko leuchtete zuerst nach rechts. Er sah die tanzenden Wellen, die sich noch nicht beruhigt hatten. Er sah auch die letzten Toten, die dicht unter der Wasserfläche schaukelten. Sie waren nicht mehr in die Tiefe gedrückt worden. Ihre bleichen Gesichter wirkten, als würden sie jeden in einer tiefen Vorfreude angrinsen.
Keine Spur von Frost!
Aus dem Wasser schaute ein Ungeheuer hervor. Der Stromausfall hatte den mächtigen Riesenfisch mit seinem weit geöffneten Maul mitten in der Bewegung stoppen lassen.
Ein Stück weiter waren die Tentakel des Kraken zu sehen. Alles wirkte schaurig und bedrohlich, war allerdings im Vergleich zur echten Gefahr nur harmloses Beiwerk.
Es war recht still geworden, weil die anderen Fahrgäste dem Lampenstrahl folgten. Auch sie wollten sehen, was er aus der Dunkelheit hervorholte. Suko spürte ihre Spannung und auch die Hoffnung, die sie trotz allem erfüllt hielt.
Er sah nur das Wasser.
Kleine, zittrige Wellen, aber keinen Menschen, der sich auf die Gondeln zubewegte.
An eine Entspannung der Lage wollte Suko trotzdem nicht glauben. Das war kein Spaß. Leo Frost würde kommen, davon war Suko überzeugt. Und er würde raffiniert vorgehen, damit rechnete Suko ebenfalls.
Noch war er nicht zu sehen. Auch das Wasser bewegte sich normal. Es gab keine Stellen, an denen die Wellen besonders aufschäumten, und er sah auch keinen Kopf über der Oberfläche erscheinen.
Der Albino befand sich im Vorteil. Durch den Lichtstrahl der Lampe wußte er, wo sich Suko aufhielt. Er konnte sich darauf einrichten und überraschend auftauchen.
»He, was suchst du eigentlich?«
Suko beantwortete die Frage nicht. Das tat eine andere Person, eine Frau. »Sei doch froh, daß wir überhaupt Licht haben.«
»Scheiße auch!« Jemand warf wütend eine Flasche in die Brühe. Sie verschwand sofort.
Leo Frost ließ sich Zeit. Und er hatte die Deckung geschickt ausgenützt. Obwohl Suko in die Runde leuchtete, war von dem Albino nichts zu sehen. Er tauchte nie im Schein der Lampe auf.
Als Suko gegen die Decke leuchtete und sich dabei nach hinten gedreht hatte, da traf er das Auge der halb herabhängenden Riesenspinne. Sie wirkte wie im Sprung eingefroren, hatte ihre Greifer aber noch nach den Menschen ausgestreckt. In Anbetracht der echten Gefahr wirkte ihr Erscheinen schon lächerlich.
Irgendwo mußte sich Frost aufhalten. Er würde sich auch nicht immer verstecken. Er wußte, daß man ihm auf der Spur war, und mußte deshalb handeln.
Das Wasser blitzte auf, wenn das Licht die Wellenkämme streifte. Manchmal entstand sogar ein Glitzern, als hätte jemand helle Glassplitter auf die Oberfläche geschleudert.
Suko spielte mit dem Gedanken, die Gondel zu verlassen und in die Brühe zu steigen. Es wäre nicht schlecht gewesen, wenn er allein hier in der Geisterbahn gewesen wäre. Er nahm allerdings davon Abstand, weil sein Beispiel sonst Schule machte, und das wiederum wollte er auch
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