Léonide (German Edition)
könnte tun, was Sie von mir verlangen. Wenn ich doch nur vergessen könnte . Ich würde die Suche nach Costantini aufg e ben, wenn es mir dann besser gehen würde, aber ich weiß, das würde es nicht.«
Er wird sich von dir abwenden , sagt eine Stimme in meinem Kopf. Du wirst ihn verlieren, genauso , wie du Willem verloren hast, und du wirst allein bleiben.
Ich will gerade ins Haus gehen, als Frédéric mich erneut z u rückhält. »Ich werde nicht dabei zusehen, wie Sie sich von I h rer Familie und Ihren Freunden abwenden. Wie Sie alles hi n werfen, sogar Ihr Leben, um an dem Ihres Bruders festha l ten zu können.«
Ich gebe keine Antwort, stehe still da, betrachte sein Gesicht, das zuerst Trauer, dann Enttäuschung, dann Bitterkeit wide r spiegelt. Seine Gesichtsausdrücke wechseln so schnell, dass ich Mühe habe, ihnen zu folgen und sie zu benennen.
»Wissen Sie, wie es ist, einsam zu sein?« Im Zwielicht der Gasse glühen Frédérics Augen wie zwei Kohlen auf dem Fe u er. Trotz ihrer warmen Farbe erinnern sie mich an Costantinis. Mal wirken sie schwarz, dann wieder leuchtet ein zorniges, r o tes Licht aus ihnen, das mir Angst macht.
Frédérics Stimme senkt sich zu einem Flüstern. »Wissen Sie, was es bedeutet, das eigene Leben und alle Menschen darin aufzugeben, um später zu merken, dass man das, was man einmal hatte, nicht aufs Spiel hätte setzen dürfen? Können Sie sich vorstellen, wie es ist, alles zu verlieren – alles, bis auf das eigene Leben?«
Ich sage nichts. Ich bin mir sicher, er spricht längst nicht mehr nur von mir.
»Sie können ihn nicht zurückholen, Léonide.« Frédérics Ki e fer verkrampft sich.
»Das weiß ich – aber ich kann Erklärungen finden. Es fällt mir schwer, zu vergessen. Einfach weiterzumachen. Das Ei n zige, was mir helfen kann, ist das Wissen darum, was mit Wi l lem geschehen ist. Es ist die einzige Therapie, die ich brauche. Können Sie das nicht verstehen?«
Frédéric seufzt und reibt sich mit der freien Hand die Schl ä fen. »Ja, aber das bedeutet nicht, dass ich es gern höre. Sie steigern sich in etwas hinein, verlieren sich in einer fixen Idee. Das tut Ihnen nicht gut und kann Sie sogar zerstören, wenn Sie sich nicht dagegen wehren. Sie haben sich ein Feindbild erschaffen. Es hat Macht über Sie, Léonide, aber nur, solange Sie ihm diese Macht einräumen.«
Er geht nicht so weit, die Dinge, die ich gesehen habe, me i ner Einbildung und ebendieser fixen Idee zuzuschreiben. Er erinnert mich auch nicht an Willems Krankheit und an das, was mit ihm geschehen ist. Das muss er auch nicht – ich höre seine Gedanken so deutlich in meinem Inneren widerhallen, als hätte er sie laut ausgesprochen.
»Ich fühle mich für Sie verantwortlich«, bricht es plötzlich aus Frédéric heraus. Seine Haut brennt fiebrig auf meiner. Am liebsten würde ich mich losreißen, um der Hitze zwischen uns zu entkommen, doch ich reiße mich zusammen.
»Das ist absolut unnötig.« Es klingt forscher, als ich bea b sichtigt habe.
Frédéric lässt mein Handgelenk los, als wäre die Hitze nun auch ihm zu viel. »Entschuldigen Sie. Ich weiß ja, dass Sie nichts davon halten, wenn Männer sich in das Leben von Frauen einmischen.«
»Sie scheinen Schwierigkeiten zu haben, sich damit abzufi n den.«
Frédérics Blick verdunkelt sich, und ich wünschte, ich hätte die letzten Worte lieber hinuntergeschluckt. Womöglich hat er doch r echt , wenn er sagt, er sei ein aufbrausender Mann. Au f brausend und unbeherrscht.
Frédérics Stimme ist forsch wie zuvor meine. »Nein. Ich kann mich nur nicht damit abfinden, dass Sie sich kopfüber ins Unglück stürzen und von mir erwarten, dass ich Ihnen tate n los dabei zusehe.«
»Ich habe nicht vor, mich ins Unglück zu stürzen.«
Frédéric lacht – ein aufgesetztes, freudloses Lachen. Wütend, wie er ist, erkenne ich ihn kaum wieder.
»Ich hasse es, wenn Sie wütend auf mich sind.« Ich lege eine Hand auf seinen Unterarm.
Keine Antwort.
»Ich erwarte nicht, dass Sie mich verstehen. Nach allem, was passiert ist, erwarte ich nicht, dass Sie mich nach Roussi l lon begleiten. Ich möchte nur nicht, dass Sie im Zorn von mir g e hen.«
Frédéric stößt den Atem aus, fährt sich durchs Haar und wirkt auf einmal unglaublich erschöpft. »Ich nehme an, meine Versuche, Sie umzustimmen, waren von Anfang an zum Sche i tern verurteilt.«
»Das haben Sie schon gestern Abend gesagt.« Trotz meiner Angst und dem Schwelen der Trauer tief unten in
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