Léonide (German Edition)
. Ich weiß nicht, wovon Sie reden . «
Ich lache – ein leises, freudloses Lachen. Costantinis Blick wandert wütend zwischen Frédéric und mir hin und her, doch er hat den Versuch aufgegeben, sich aus Frédérics Griff b e freien zu wollen. Mit dem Kopf deutet er auf mich.
»Diese Verrückte ist mir schon einmal gefolgt, vor ein paar Tagen auf dem Markt von Beaucaire. Auch da schon hat sie mich Costantini genannt. Ich bin nicht Costantini, sondern Costanzo, Arcangelo Costanzo . «
Ich schnaube, doch Frédéric wirkt verunsichert. Glaubt er ihm etwa, diesem Betrüger, diesem Heuchler, der sich neue r dings als Costanzo auszugeben scheint? Wen erwartet er, damit täuschen zu können?
»Erinnern Sie sich an den Markttag?«, frage ich Costantini. Er nickt. »Dann erinnern Sie sich mit Sicherheit auch daran, wie sie entkommen sind? Indem Sie über eine Mauer geklettert sind, eine viel zu hohe Mauer, etwas, wozu Sie gar nicht in der Lage sein dürften . «
Costantini schüttelt ungläubig den Kopf. »Sie sind ja wah n sinnig. Nirgendwo bin ich hinübergeklettert . Ich bin nur d a vongekommen, weil Sie gestolpert und hingefallen sind . «
Wieder reißt Costantini den Arm zurück, doch diesmal lässt Frédéric ihn gewähren. Der Blick, den er mir zuwirft, ist merkwürdig.
»Frédéric, ich glaube ihm nicht . « Ich wende mich noch ei n mal an Costantini. »Wie kommt es, dass Sie jünger gewo r den sind, und das innerhalb weniger Tage? Was sind Sie für ein Mensch? Wer sind Sie? «
Gemurmel erhebt sich. Ich spüre die ungläubigen Blicke der Menschen, die sich um Costantini, Frédéric und mich ve r sammelt haben, im Rücken. Ich ignoriere sie, so gut ich kann.
»Erklären Sie mir, warum Sie weggerannt sind, wenn Sie nicht Costantini sind. Warum haben Sie mir nicht gesagt, was sie gerade eben Frédéric gesagt haben?«
Costantini stößt ein trockenes Schnauben aus. »Das fragen Sie noch? Wie eine Wilde haben Sie mich angesehen . Sie kö n nen mir wohl kaum verübeln, dass ich vor Ihnen geflohen bin.«
Frédérics Augen finden meine. Er wirkt noch immer veru n sichert, nun aber auch besorgt – ein Ausdruck, der gleichzeitig Zorn in mir weckt und mir Angst macht.
»Léonide«, fragt er leise, »sagt der Mann die Wahrheit?«
»Ich … « Meine Stimme ist mir merkwürdig fremd, als drän g t e sie aus weiter Ferne an meine Ohren. Nein, natürlich nicht.«
»Und es wäre nicht möglich, dass Sie ihn verwechseln?« Er sagt nichts weiter, doch ich weiß auch so, was er denkt . Dass ich halluziniere, dass ich mir die Art, wie Costantini – Costanzo – entkommen ist, nur eingebildet habe, ebenso seine mysteriöse Verjüngung. Ich sehe es, sehe es in seinen traur i gen, tra u rigen Augen.
Der Mann, der sich Costanzo nennt, zieht einige Papiere aus seiner Manteltasche und reicht sie Frédéric. »Sehen Sie?« Er deutet mehrfach darauf, als woll t e er das Papier mit seinem spitzen Finger durchstechen. »Costanzo, nicht Costantini!«
Frédéric nickt nur.
Ich schüttle den Kopf, bestehe aber nicht darauf, Costantini möge seine Papiere auch mir zeigen. Ich will keine Aufmer k samkeit erregen, will von hier verschwinden, Frédéric nie wi e der vor die Augen treten, so groß ist meine Scham. Dennoch weiß ich, dass ich nicht verrückt bin; ich weiß, dass ich nicht halluziniere und dass der Mann, der vor uns steht, nicht Costanzo, sondern Costantini ist, ganz gleich, was er uns Glauben zu machen versucht. Dann aber frage ich mich, ob nicht ger a de meine feste Überzeugung ein erstes Anzeichen für jene Krankheit ist, unter der auch Willem gelitten hat.
»Entschuldigen Sie, Monsieur Costanzo.« Frédéric streckt dem Mann die Hand entgegen. Der nimmt sie nach einem kurzen Zögern , seine Finger legen sich wie die Beine einer Spinne um Frédérics Hand. Ich erschau d ere.
Costantini, Costanzo oder wer auch immer er sein mag murmelt etwas Unverständliches. Die Menschenmenge um uns herum löst sich langsam auf. Schließlich stehen wir zu dritt auf dem Gehsteig, und ein unangenehmes Schweigen legt sich über uns.
Die fremdartigen Augen Costantinis oder Costanzos, die wie zwei blanke Murmeln in seinem Gesicht sitzen, finden meine. Erwartet er auch von mir eine Entschuldigung?
Was würdest du tun, um deinen Bruder zu rächen? Die papierne Stimme hallt wie ein Echo in meinem Kopf wider.
Ich weiche einen Schritt zurück. Eine Flamme schießt mein Rückgrat hinauf, sodass ich aufkeuche vor heißem Schmerz. Die Hitze
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