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Léonide (German Edition)

Léonide (German Edition)

Titel: Léonide (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Schaefer
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meiner Brust muss ich lächeln.
    »Sie haben r echt .« Unsere Blicke treffen sich und er l ä chelt zurück, aber es ist ein müder Ausdruck, der seine Augen nicht erreicht. »Sie wissen doch, dass ich Sie nicht allein nach Rous s illon gehen lasse?«
    »Ja. Ich weiß.«
     
    Wir beschließen, am nächsten Morgen nach Roussillon abz u reisen. Frédéric spricht nicht noch einmal über seine Befürc h tungen, und auch ich gehe einem weiteren Gespräch über Wi l lem und Costantini aus dem Weg.
    Noch steht uns eine Schwierigkeit bevor . Meine Tante von unserer Abreise zu unterrichten und ihre Versuche, uns daran zu hindern, zu zerstreuen. Allerdings reagiert sie weniger übe r rascht, als ich erwartet habe, und erhebt nicht einmal dann Einspruch, als sie hört, dass wir nur zu zweit reisen werden. Meine Beweggründe scheint sie tatsächlich zu verstehen, auch, wenn sie sie nicht gutheißt.
    Ehe wir Beaucaire verlassen, gebe ich einen Brief an meine Eltern auf, in dem ich ihnen von Frédérics und meiner Abreise nach Roussillon und den Gründen dafür berichte. Ich halte ihn kurz und sachlich; sie sollen nicht befürchten, dass ich mich von Emotionen mitreißen lasse, hinter denen, wie sie glauben, der Wahnsinn lauert, der ihnen auch Willem geno m men hat. Hätten sie doch geahnt, dass der Wahnsinn in Costantinis Gestalt zu meinem Bruder gekommen ist.
    Nachdem ich meine wenigen Habseligkeiten zusammeng e packt habe, bleibt nichts weiter zu tun, als zu warten. Die Droschke ist bestellt, meine Eltern und Adélaïde sind unte r richtet. Der Herbst leuchtet lockend durchs Fenster, doch für e i nen Spaziergang bin ich zu nervös.
    Ich komme nicht umhin, mir einzuge ste hen, dass ich Beaucaire zu fürchten gelernt habe. Ich fürchte mich vor einer weiteren Begegnung mit Costantini; ich fürchte mich vor mir selbst und meiner Wahrnehmung; vor dem, was ich sehe oder zu sehen glaube. Vor allem aber fürchte ich mich davor, wie ich auf das Gesehene reagiere.
    An diesem Abend lege ich mich früh schlafen, doch ich sta r re noch lange grübelnd in die Dunkelheit des Zimmers, ehe ich von meiner Erschöpfung fortgeschwemmt werde.
     
    Als ich erwache, ist es um mich herum dunkel – der Tag ist noch nicht angebrochen. Die weißen Laken kleben auf meiner verschwitzten Haut, und hinter meinen Augen ist ein rotes Glühen, das es mir unmöglich macht, wieder einzuschlafen. Eine Weile wälze ich mich im Bett hin und her und versuche, mich zu zwingen, noch eine Weile auszur u hen.
    Irgendwo draußen maunzen und schreien zwei kämpfende Katzen. Durch das geöffnete Fenster dringt der ohrenbetäubende Gesang der Zikaden an meine Ohren. Ein Schatten huscht auf lautlosen Flügeln an meinem Fenster vorbei – eine Fledermaus. Ein Kauz gibt ein wehmütiges Schuhuhen von sich.
    Doch in den Tiefen der dunklen Gassen erklingen noch ganz andere Geräusche: das Glucksen und Wispern des Wassers , der Gesang eines einsamen Akkordeonspielers , das sanfte Reiben von rauer Männerhaut auf der weichen, nachgiebigen Haut einer Frau.
    Ich stöhne und kämpfe mich aus den Bettlaken, die meine Brust plöt z lich unerträglich zu bedrängen scheinen. Ich kann kaum a tmen , und mein Nacken schmerzt, als hätte ich die halbe Nacht reglos auf dem falschen Fleck geruht. Der Vorhang bläht sich im Wind, der durch das geöffnete Fenster hereinzieht – es sieht aus, als würde dahinter eine G e stalt lauern.
    Plötzlich überzieht eine eiskalte Gänsehaut meinen Nacken, sodass sich die Härchen auf jedem Zentimeter meiner Haut aufstellen.
    Unter dem Spalt meiner Tür sickert dichter Nebel wie Rauch ins Zimmer. Er wird immer dicker und dicker, wirbelt konturlos. Wie Wa s serdampf kriecht er über den Boden, bis er mich erreicht hat, und wächst zu einer langen Säule empor. Am oberen Ende der Nebelsäule l o dern zwei Punkte in eisblauem Feuer.
    Komm, Léonide , flüstert eine papierne Stimme in meinem Kopf , folge mir .
    Die Nebelsäule löst sich auf und kriecht zur Tür zurück. Auf nac k ten Füßen, mit nichts als meinem dünnen Hemd am Leib, folge ich ihr. Die Kälte des Steinbodens brennt sich in meine Fußsohlen, doch ich spüre sie kaum. Die Tür meines Zimmers öffnet sich knarrend.
    Der dunkle Gang ist leer, der fließende Nebel verschwunden. Dennoch trete ich aus meinem Zimmer und schleiche den Gang entlang die Treppe hinunter. Eine Stimme zieht mich mit sich fort. Sie zeugt von Alter, von Unsterblichkeit und Weisheit, und sie lockt mit Farben und

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