Léonide (German Edition)
Falten, Formen und Farben in sein Gesicht. Ich bin wie gelähmt und kann nichts anderes tun, als dem befremdlichen Schauspiel z u zusehen.
Als sein Gesicht schließlich zur Ruhe kommt und er die Hände sinken lässt, habe ich nicht länger Willem vor mir.
Sondern Costantini.
Ein kaltes Gefühl in meiner Magengegend signalisiert Angst. Ich weiche stolpernd ein paar Schritte zurück. Das Gras ze r bröselt mit Knisterlauten unter meinen Füßen. Costantini l ä chelt, seine Eisaugen blitzen. Um mich herum wird es kälter und kälter und der Wind reißt an meiner Kleidung, während er Costantini nicht berühren zu können scheint, als befände er sich unter einer Glasglocke.
Plötzlich erinnere ich mich, dass Willems Wo r te – »Ich habe das Gefühl, dass meine Geschichte noch nicht erzählt ist« – von Costantini stammen. Im selben Augenblick wird mir b e wusst, dass ich träume. Ich weiß, es gibt nur einen zuverläss i gen Weg aus meinen Träumen zurück in die Realität, in der Willem Willem ist und Costantini Vergangenheit.
Ich schreie, und eine Wolke verängstigter Krähen stiebt krächzend in den Nachthimmel auf.
Ich fahre aus dem Schlaf und der Schrei verhallt in der Stille meines Zimmers, das vertraut im Dämmerlicht der frühen Morgenstunden liegt. Auf meiner Stirn klebt Schweiß, und noch immer scheint meine Haut von der roten Sonne in me i nem Traum zu brennen. Ich brauche mehrere Minuten, um Costantinis Gesicht aus d en Gedanken zu vertreiben.
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, doch ich kann nicht wieder einschlafen. Fast kommt es mir so vor, als hätte ich gar nicht geträumt – als wäre nicht die Vertrautheit meines Zi m mers, sondern das soeben Geträumte Realität.
Ich bin erleichtert, als es hell wird und die Sonne die Scha t ten aus den Ecken meines Zimmers vertreibt. Ihre Wärme ki t zelt in der Nase und entspannt meine Augenlider. Schließlich schiebe ich die Bettdecke beiseite und stehe auf.
Es wird mir im Nachhinein schwerfallen , zu sagen, warum ich es nicht früher bemerkt habe: d as vertrocknete, noch wa r me Gras, das an meinen Fußsohlen klebt. Ich zupfe eines zw i schen d en Zehen hervor und betrachte es lange.
Das kann nicht sein. Ich bin übermüdet und ha l luziniere.
Energisch klopfe ich Gras und Staub von d en Füßen. Wä h rend ich mich ankleide, bemühe ich mich darum, meinen Kopf zu leeren und mich auf das Gefühl des Bau m wollstoffes auf d er Haut zu konzentrieren. Auf d em Nachttisch steht die Arznei für Willem. Ich lasse mir Zeit, ehe ich nach unten gehe, um ihm die ersten fünf Tropfen zu verabreichen.
Wie immer, wenn ich Willems Zimmer betrete, schlägt mir zuerst die stickige, vom Geruch nach Krankheit geschwänge r te Luft entgegen. Ich öffne das Fenster und trete zu ihm ans Bett. Er hat die Augen nur halb geöffnet, atmet flach und scheint mich nicht zu bemerken.
Seit Monaten hat sich Willems Zustand von Tag zu Tag ve r schlechtert. Er leidet unter Albträumen, Angstzuständen und Halluzinationen. Seine hysterischen Anfälle und Nervenz u sammenbrüche sind in immer kürzeren Abständen aufgetr e ten. Phasen des Zorns sind Mutlosigkeit und Depressionen, Selbstzweifeln und Lebensmüdigkeit gewichen. Er hat sich mehrfach mit seinem Rasiermesser verletzt, hat Terpentin g e trunken und seine Farben gegessen.
Inzwischen fürchte ich mich vor Willems Unberechenba r keit. Ich glaube, dass er vor allem unter dem Missfallen uns e res Vaters leidet, der nie einen Hehl daraus gemacht hat, was er von Willems Malerei und seinen Zukunftsplänen hält.
»Willem.« Ich nehme seine Hand . Sie liegt schlaff in me i ner. Er reagiert auch nicht, als ich ihm mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wische. Seine Augäpfel jagen unter den Lidern hin und her und ich frage mich, was er wohl sieht und wo er sich befindet, jetzt, in diesem Augenblick.
Plötzlich packt er fester zu, und seine Finger schließen sich um mein Handgelenk. »Die Sonne«, stöhnt er. »Wie sie brennt . Sie verbrennt mich! Die Farben … das Licht!«
»Beruhige dich«, flüstere ich, doch er wälzt sich im Bett hin und her, die Augen weit aufgerissen, und stöhnt schmerze r füllt. »Die Sonne«, sagt er wieder, »tu etwas, mach, dass es au f hört!« Seine blutunterlaufenen Augen tränen. »Sie ist in me i nem Kopf … Sie verbrennt mich! Léonide, sie bringt mich um . «
Ich tunke das Tuch in den Wasserkrug, der auf dem Nach t tisch bereitsteht, und betupfe seine fiebrige Stirn. Unter
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